Montag, 13. Dezember 2010
Spieletest "A Vampyre Story"
Beim Namen Bill Tiller sollten bei Adventurekennern eigentlich alle Alarmglocken läuten. Neulinge werden sich jedoch fragen "wer ist das?" - ganz einfach: dieser Mann war damals für die phantastisch gezeichneten Hintergründe in "The Curse of Monkey Island" zuständig und hat sich um die Jahrtausendwende von Lucas Arts getrennt, als jene sich dazu entschieden, fortan nur noch halbgare StarWars-Spiele abzuliefern.
Nach einigen Jahren der Adventureabstinenz entschied sich der gute Herr Tiller dann dazu, ein eigenes Entiwcklerstudio namens "Autumn Moon Entertainment" zu gründen und fortan mit einem neuen Team eigene Adventures zu produzieren. Angesichts der ruhmreichen Vergangenheit könnte man nun schon beinahe in Jubelstürme ausbrechen.. aber hält denn das erste Spiel dieses Studios auch was es verspricht? Ich habe den Sarg geöffnet und mal einen genauen Blick hinein geworfen.


Story
Mona de Lafitte ist eine Pariser Opernsängerin. Oder eher war eine. Denn nun ist sie eine Vampirdame. Wie das geschah wird während des Prologes in Form eines Bilderbuches erzählt. Baron Shrowdy von Kiefer besuchte die Oper in Paris und machte Mona den Hof, blitzte jedoch bei ihr ab - also wandte er seine hypnotischen Fähigkeiten an um sie gefügig zu machen, zu beissen und auf Schloss Warg nach Draxsylvanien zu bringen, wo die grossgewachsene Schönheit nun ihr Dasein Fristet und sich noch immer dagegen wehrt, ein Vampir zu sein. Stattdessen trinkt sie täglich ihren "salzigen Merlot" und ist der Meinung, lediglich verflucht worden zu sein, weshalb sie nicht vom Schloss flüchten kann.

Nachdem Shrowdy jedoch unverhofft dahinscheidet, ist für Mona der Weg frei. Sie will aus dem Schloss flüchten und im Hafen von Gothford Falls ein Schiff chartern welches sie nach Paris bringt. Glücklicherweise ist Mona auf ihrem beschwerlichen Weg nicht alleine, sondern wird von allen möglichen schrägen Wesen dabei unterstützt. In erster Linie ist da die Fledermaus Froderick. Ein vorlauter, oftmals frecher kleiner Kerl, der Mona nie von der Seite weicht und stets auf ihrer Schulter sitzt. Dieser lässt nicht nur immer humorvolle Kommentare vom Stapel, sondern ist in vielen Situationen auch äusserst hilfreich, weil man ihn immer wieder zum Lösen von Rätseln einsetzen kann - meist mit einem urkomischen Resultat.
Neben Froderick gibts da auch noch sprechende eiserne Jungfrauen, verkaterte Raben, Mafiosi-Ratten, verzauberte Gargoyles, usw. All diese schrägen Charaktere sorgen dafür, dass die relativ kurze Vampirstory alles andere als langweilig wird, auch wenn die Rahmenhandlung in erster Linie nicht allzu viel her gibt.

Gameplay
Man kommt nicht drumherum zu bemerken, dass "AVS" seine Wurzeln ganz klar bei "The Curse of Monkey Island" hat, was nicht nur auf den ersten Blick auf die Grafik ersichtlich wird. Auch in der Bedienung erscheinen die Parallelen recht schnell, lenkt man Mona doch fast genau so wie damals Guybrush im grossen Vorbild. Wer ein Objekt ansteuert und 1-2 Sekunden auf der Maustaste verweilt, öffnet damit ein Kontextmenü mit den drei wichtigsten Advantureaktionen (Sprechen, nehmen, ansehen) sowie der Möglichkeit, zu Orten/Objekten hinzufliegen indem sich Mona in eine Fledermaus verwandelt - was immer wieder mal von Nöten sein wird.
Wie es sich für eine Dame gehört, schleppt Mona nicht tonnenweise Zeug mit sich rum, da sie auch keine Zauberhosen trägt wie es bei anderen Genrehelden üblich ist. Gegenstände die ihr zu schwer oder zu sperrig sind, kommen als "Idee" in ihr Inventar, wo sie bei Bedarf abgerufen werden können. In einem solchen Moment fliegt Mona flux zu jenem Gegenstand hin, holt ihn und benutzt ihn an der vorgesehenen Stelle. Auswirkungen auf das Gameplay hat diese ansich nette Idee jedoch keine.
Ebenfalls nicht sonderlich tugendhaft für eine Dame ist das schnelle Gehen, weshalb Mona grundsätzlich darauf verzichtet. Glücklicherweise lässt sich jede Aktion jedoch per Druck auf die Leertaste beschleunigen und bei einem Szenenwechsel ersetzt die rechte Maustaste den ansonsten üblichen Doppelklick. Man hat sich also viel Mühe gegeben, dass ungedulgige Spieler nicht in rasende Wut verfallen oder gar vor dem Monitor einschlafen, da sogar Dialoge auf diese Weise verkürzt werden - was jedoch schade wäre, da die Gespräche wundervoll vertont wurden. Doch dazu später mehr.

In Punkto Rätseldesign meint es das Spiel manchmal ein wenig zu gut indem es sich an alten Lucas Arts Klassikern orientiert. Viele Rätsel sind streng miteinander verkettet und erst gegen Ende erschliesst sich dem Spieler deren Sinn. Ein kleines Beispiel: um an den Schlüssel zu gelangen der in einem Gargoyle steckt, müssen wir ihn dazu bringen, seinen Platz zu verlassen, damit wir ihn mit einer Steinstatue erschlagen können. Dieser verlässt seinen Platz jedoch nur, wenn die Gefahr droht, dass er von Vogelexkrementen getroffen werden könnte, was aber nur geschieht, wenn besagter Vogel seine Verstopfung los wird. Alles klar soweit? Nein? Das macht nichts, denn auf solche verschachtelten Knobeleien trifft man immer wieder im gesamten Spiel. Dabei ist es meist von Nöten, ein wenig um die Ecke denken zu können, oder den kleinen Froderick mit allem möglichem kombinieren zu wollen. Viele Hinweise verstecken sich in den Dialogen, gehen aber ab und an bei all dem Wortwitz auch gerne mal unter oder werden nicht sofort als solche erkannt. In 90% der Fälle weiss man jedoch was als nächstes zu tun ist und braucht bloss herauszufinden, wie man die nächste Hürde überwinden kann.
Mit einzelnen Knobeleien jedoch hat der gute Bill es klar übertrieben, z.B. wenn man Dämonenrotz in verschiedenen Farben erhitzen und mischen muss, bis man das gewünschte Resultat erhält. Gerade jene Passage wird einige Minuten in Anspruch nehmen und der eine oder andere wird auch gerne 2-3 Anläufe benötigen um dieses Rätsel zu lösen. Dies ist in erster Linie schade, da es neben der (fast schon obligatorischen) Hotspotanzeige keinerlei weitere Spielhilfen gibt. Wer also irgendwann wie der Ochs vorm Berg steht, muss entweder Spieleforen aufsuchen oder einen Blick in die Komplettlösung werfen - beides nicht gerade Ruhmreiche Varianten und nur bedingt gute Werbung für ein Adventure.
Ob die Rätsel teilweise zu schwer oder zu abgedreht sind, sei mal dahin gestellt - Fakt ist, dass sich vor allem Anfänger mit Mona und Froderick sehr schwer tun werden, so amüsant dieses Adventure letztendlich auch sein mag.

Sound
Dazu trägt wie so oft eine sehr gelungene Vertonung bei, mit der man hierzulande sogar das englische Original um Längen schlägt. Vor allem Mona und Froderick wurden allerliebst synchronisiert, was v.a. dann auffällt, wenn sich die beiden mal wieder streiten oder ein wenig necken. Mona wirkt mit ihrem französischen Akzent sehr charmant und ein wenig naiv, während die freche kleine Fledermaus mit Comedian Tetje Mierendorf eine perfekte deutsche Stimme erhielt. Auch der restliche Cast kann sich hören lassen, auch wenn sich nur noch wenige bekannte Namen darunter tummeln. In einer Nebenrolle ist übrigens Sandra Schwittau zu hören, den meisten wohl besser bekannt als deutsche Stimme von Bart Simpson.

Wenn die über 80'000 Worte schon so professionell ins deutsche übertragen wurden, wie sieht es dann mit dem Score aus? Die Antwort lautet: bestens! Inspiriert vom Komponisten Danny Elfman hört man hier schaurig-schön-traurige Fantasyklänge wie sie ansonsten in jedem Hollywoodfilm Platz finden könnten, wobei einige Themes sofort an "The Curse of Monkey Island" erinnern - beispielsweise an die Szene in der sich Guybrush in der Familiengruft der Meistersuppes befindet. Auch hier sind die Parallelen also nicht von der Hand zu weisen, wobei man dies keinesfalls als schlecht werten sollte. Selten hat ein Spielesoundtrack so wundervoll zur Stimmung auf dem Monitor gepasst wie hier - ganz grosse Klasse! Einziger Wehrmutstropfen bleibt, dass es 1-2 Sätze im Spiel gibt, die auf einmal englisch gesprochen werden. Entweder ist da etwas verloren gegangen oder es handelt sich um einen Bug, der jedoch im gesamten betrachtet nicht störend ins Gewicht fällt.

Grafik
Comicadventures haben einen riesigen Vorteil gegenüber den "realistischeren": sie sehen selbst nach Jahren noch gut aus. Das trifft auch auf "AVS" zu, dessen Polygongehalt ganz klar unter dem von Spielen wie "Geheimakte Tunguska" steht, welches fast komplett auf 3D oder zumindest sehr detailliert gerenderte Hintergründe setzt. "AVS" hingegen orientiert sich hier eher am grossen Lucas Arts Vorbild und zeigt uns hübsch modellierte 3D Charaktere mit flüssigen Bewegungen vor Hintergründen die wie handgemalt wirken. Wenn Mona bei fahlem Mondlicht inmitten von Gothford Falls steht, welches von Fackeln erleuchtet wird während sanfte Schneeflocken gen Boden taumeln, dann ist das richtig schön und Herr Adventurespieler fühlt sich so richtig wohl und möchte gern stundenlang in dieser Umgebung verweilen. Hinzu kommen viele verspielte Details und ein unverkennbarer Zeichenstil, wie er nur von Bill Tiller stammen kann. Hier trifft der Look von "Monkey 3" auf Tim Burtons "Nightmare before Christmas" und verschmilzt damit zu einem sehr atmosphärischen Gesamtbild, wie es wohl nur von Autumn Moon stammen kann.
Einzig schlechter Punkt bei der Grafikengine: die Auflösung ist auf 1024x768 Bildpunkte beschränkt. Dies sorgt auf Breitbildmonitoren für unschöne Verformungen, einen Patch um dieses Problem zu beheben gibt es bislang nicht. Hier hilft nur die Holzhammermethode und der Spielstart im Fenstermodus.

Pro
- Einfache Bedienung
- unverbrauchtes Vampirsetting
- hervorragender Humor und Wortwitz
- gelungene Vertonung
- wunderschön-abgedrehter Grafikstil
- einige sehr schräge Knobeleien..


Contra
- ..die manchmal einfach zu schwer sind
- ..und sich aufgrund dessen nicht fur Anfänger eignen
- teilweise weit ausufernde Gespräche
- fieser Cliffhanger am Ende in Vorbereitung auf Teil 2

Fazit
"A Vampyre Story" ist wie ein Tim Burton Märchen zum selber spielen. Der einzigartige und leicht morbide Look, der gelungene Wortwitz sowie die tollen Charaktere machen einiges her und werden vom hervorragenden Score bestens abgerundet. Dem gegenüber stehen einige wirklich fiese Rätselketten die man nicht so einfach löst und ein etwas unbefriedigender Cliffhanger am Ende. Grade dann wenn die Geschichte langsam in Fahrt kommt und man sich eigentlich so richtig warm gespielt hat, ist man bereits am Ende angelangt und muss sich gedulden bis 2011 endlich der Nachfolger erscheint. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, erhält mit "AVS" eine sehr gelungene Hommage an Spiele wie "The Curse of Monkey Island" und wird passend zur Weihnachtszeit einige sehr vergnügliche Stunden im verschneiten Draxsylvanien verbringen, während es draussen vor dem Fenster ebenfalls schneit. Und dank dem kleinen Budgetpreis bleibt auch noch genug übrig für weitere Geschenke unter dem Weihnachtsbaum. Zuschlagen und hoffen, dass Bill Tiller auch weiterhin solch schöne Adventures der alten Schule basteln wird!

Grafik: 85%
Sound: 91%
Steuerung: 88%
Rätsel: 80%
Atmosphäre: 90%
Gesamtwertung: 83%