"ES" Filmkritik



Es ist wohl unbestritten, dass die meisten Verfilmungen der Geschichten von Horrorautor Stephen King hanebüchener Mumpitz sind. Carrie? Interessanter Stoff, aber objektiv kein guter Film - die Neuauflage gar furchtbar. Christine? Friedhof der Kuscheltiere? Kinder des Zorns? Dreamcatcher? Der Rasenmähermann?
Es findet sich dermassen viel Mist unter den Umsetzungen des berühmten Autors, dass die gelungenen Werke umso mehr herausstechen.

Stanley Kubricks "The Shining" gilt bis heute als eine der detailliertesten Horrorumsetzungen überhaupt. Doch die 1990er TV-Adaption des Beststellers "ES" schaffte etwas ganz anderes: während Figuren wie Michael Myers oder Jason Voorhees über mehrere Filme hinweg ihren Platz unter den Ikonen des Horrors behaupten mussten, gelang es nur wenigen Figuren, sich mit nur einem einzigen Auftritt zu etablieren. Frankensteins Monster. Leatherface. Der Xenomorph. Und Pennywise.
Dank Tim Currys Darstellung des kinderfressenden Clowns waren Jugendliche und junge Erwachsene jahrelang traumatisiert - an Besuche im Zirkus war kaum mehr zu denken. Umso gespannter wurde die Ankündigung einer Neuinterpretation des Stoffes verfolgt. Die Skepsis war gross, nicht zuletzt da man in Hollywood über Jahre hinweg nur noch alte Marken ausgeschlachtet und zu Grabe getragen hat und die meisten Remakes einfach nur richtig schlecht waren. Sollte und konnte es diesmal anders sein? Würde uns Pennywise erneut schlaflose Nächte bereiten?


Story
Derry, Maine, September 1988. Es ist ein regnerischer Herbsttag, als der kleine Georgie verschwindet - in die Kanalisation gezerrt von einem Clown. Knapp 1 Jahr ist seither vergangen, doch Georgies älterer Bruder Bill hat die Suche nach ihm noch immer nicht aufgegeben. Dank etwas Überzeugungskraft schliessen sich auch seine Freunde Richie, Stan und Eddie der Suche an, stellen jedoch bald fest, dass irgendwas in Derry nicht mit rechten Dingen zugeht. Sie alle leiden zusehends an Visionen und glauben, ihren Verstand zu verlieren, als sie einer nach dem anderen Pennywise begegnen. Dies treibt die vier Jungs auch in die Arme von Beverly Marsh, Ben Hanscomb und Mike Hanlon - allesamt ebenfalls Aussenseiter, Mobbingopfer, Verlierer.
Gemeinsam stellen sie fest, dass eine uralte Macht in der Kanalisation von Derry haust und sich alle 27 Jahre von neuem zeigt, in Gestalt eines tanzenden Clowns. Seine Nahrung? Kinder.


-> Trailer bei Youtube


Die erste TV-Adaption aus dem Jahre 1990 hatte mit vielen Problemen zu kämpfen: der Cast war zum Grossteil knapp durchschnittlich, das Budget ziemlich knapp und das Pacing war während der über 3 Stunden Laufzeit auch nicht wirklich gelungen. Doch Dank Tim Currys Darstellung von Pennywise sicherte sich die Umsetzung trotzdem ihren Platz als Kultfilm, wenn auch leider objektiv betrachtet nicht als sonderlich guter.

Regisseur Andy Muschietti ("Mama") hatte grundsätzlich ähnliche Hürden zu überwinden. Wie sollte man den Stoff filmisch umsetzen? Lieber Überlänge oder 2 einzelne Teile? Und wer sollte in die Fussstapfen von Tim Curry treten?
Der bei der Masse doch eher unbekannte Schwede Bill Skarsgård sollte diesmal in die Figur des Pennywise schlüpfen. Wie erste Trailer schon verrieten, hatte man sich dieses mal aber für einen leicht anderen Ansatz entschieden als noch vor 27 Jahren. Aber schliesslich geht Pennywise auch nicht alle 27 Jahre nach dem selben Muster vor...
War "Es" damals ein eher durchschnittlich aussehender Clown mit grosser roter Nase und etwas freundlicherem Gesicht, so geht Skarsgårds Interpretation ganz klar in eine dämonischere Richtung. Scharfe Fangzähne und ein sehr finsterer Blick der nichts Gutes erahnen lässt sorgen für ein leicht anderes Bild als damals. Auch ist Pennywise diesmal weniger zu Scherzen aufgelegt. Ursprünglich war es die morbide Mischung aus Slapstick und Terror welche uns vor dem Clown erschaudern liess - heute ist von der lustigen Seite nicht mehr viel übrig, der Film kommt also mit einem durchaus ernsteren Ton daher.

Unterbrochen wird dies nur durch den sprücheklopfenden Richie. War dieser schon in der Buchvorlage und in der alten Verfilmung der Witzbold der Gruppe, so zielt sein Humor diesmal einiges weiter unter die Gürtellinie. Sicherlich Geschmacksache, bei uns hat das Kino jedenfalls gelacht.

Fast unvermeidbar war allerdings, dass Muschietti das eine oder andere mal von der Vorlage abweicht. So sind die Begegnungen mit Pennywise/Es teilweise nicht nur an anderen Orten, sondern auch in anderer Gestalt und auch der Ablauf ist nicht ganz der selbe. Andere Szenen hingegen wurden 1:1 übernommen, woran gerade Kenner des Originals ihre Freude haben dürften. So ist nicht nur Georgies Begegnung mit dem Clown beinahe minutiös nachverfilmt worden, sondern auch Henrys Konfrontation mit Ben auf der Brücke im Wald eine klare Verbeugung vor dem Original.

Letztendlich kommen sowohl alte Hasen wie auch die unvoreingenommenen Kinogänger auf ihre Kosten. Vieles ist anders, aber niemals unverständlich und auch wer die Vorlage nicht kennt, verpasst nichts oder muss sich Sorgen machen, irgend etwas nicht zu verstehen.
Schade ist höchstens, wenn man die ganzen eingestreuten 80er Referenzen nicht zu erkennen oder zu schätzen weiss. So gab es im Saal definitiv mehrere, die nicht wussten, weshalb das Kino im Hintergrund gerade "Lethal Weapon 2" oder "Batman" zeigt.


Bild & Ton
Gefilmt wurde "ES" ganz klar mit der Absicht, als düster und bedrohlich daher zu kommen und dank ordentlicher Umsetzung passt dies auch. Das sommerliche Derry zeigt sich mit warmen Sonnenstrahlen und hellen Farben in einer freundlichen Atmosphäre, doch spätestens in den Barrens und der Kanalisation ist davon überhaupt nichts mehr zu spüren. Lange dunkle Schatten, pechschwarze Ecken und finstere Gewölbe bieten Pennywises Behausung Schutz. Die Bedrohlichkeit der Situation und Umgebung wird einem mit simplen Kameraeinstellungen und -tricks bewusst gemacht, einfach aber effektiv. Hauptdarsteller des Horrors ist jedoch ein bestimmtes Haus, mitten in Derry, in welches sich die Kids in der zweiten Hälfte des Films begeben. Hier wird aus einem düsteren Film binnen weniger Minuten klassischer Horror in all seinen Facetten und dies besser, als es so mancher Film der letzten Jahre geschafft hätte.

Die Bildschärfe liegt dabei fast immer auf einem hohen Niveau, nur ganz selten schleicht sich ein etwas schlechter fokussierter Shot ein. Die digitalen Effekte indes sind zweischneidig. Einige auf einem Toplevel, andere wiederum leicht zu künstlich.

Als konsistent hingegen zeigt sich der Sound. Die musikalische Untermalung ist simpel, unauffällig, in vielen Szenen gar nicht erst vorhanden. Wird es auf der Leinwand bedrohlich, so steigt auch das Streicherstakkato langsam an, Pianisten hauen in die richtig tiefen Tasten oder Bläser quälen die schrägsten Töne aus ihren Instrumenten. Und dabei wird es oftmals richtig laut - die Effekte gehen durch Mark und Bein und sorgen erst dafür, dass das Gezeigte auch seine volle Wirkung entfalten kann.


Fazit
Anders als die meisten Horrorfilme der jüngeren Neuzeit, setzt "ES" auch in seiner Neuauflage nicht auf billige Jumpscares. Natürlich werden vereinzelt welche eingestreut, doch hauptsächlich bemüht man sich um eine düstere, bedrohliche Atmosphäre - und diese kommt durchaus rüber. Wer die Vorlage nicht kennt, dürfte dank Pennywise einen der besten Horrortrips des Jahres erleben. Gerade die Auftritte in denen "Es" sich nicht (nur) als Clown zeigt sind furchterregend und in manchen Szenen schlicht hervorragend umgesetzt. So mancher Kinobesucher sank zumindest förmlich in seinen Sitz oder hob bei Androhung einer entsprechenden Konfrontation bereits schützend die Hand vors Gesicht.

Bewerte ich "ES" allerdings nur aus meiner eigenen Sicht, so sieht das Fazit ein klein wenig anders aus. Ja, der Film ist gut. Ja, er ist auch durchaus besser und vor allem anders als sein Vorgänger. Und ja, ich werde ihn sehr wahrscheinlich in meine Sammlung aufnehmen. Aber empfand ich ihn als bedrohlich? Furchteinflössend? Oder hab ich mich gar erschrocken? Nein. Leider nicht. Und dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass wir hier den besten Horrorfilm des Jahres gesehen haben und zugleich einen der wichtigsten. Denn er zeigt nicht nur, dass man Kings Vorlagen überzeugend umsetzen kann, sondern auch, dass ein Remake auf keinen Fall etwas schlechtes sein muss.
Ich bin sehr gespannt auf den zweiten Teil, der im Herbst 2019 folgen soll.

-> 7.5/10