Montag, 18. April 2011
Kapitel 1 - Ein neuer Auftrag
Das Klingeln des Weckers um 06:30 Uhr war eine immer wiederkehrende Tortur. Das lag vor allem daran, dass sein Wecker ein sehr altmodisches Modell war, noch aus dem 20. Jahrhundert, sofern er sich recht erinnerte. Seine Mutter nannte es immer liebevoll ein Familienerbstück, für ihn war es ein Stück Altmetall. Er hatte ihn nur behalten weil er nicht einsah, Geld für etwas auszugeben, was ihn sowieso nur aus dem wohlverdienten Schlaf holen sollte. Dementsprechend stand da auf dem kleinen Beistelltisch neben dem Bett noch immer dieses runde Teil aus rotem Aluminium mit zwei Kupferglocken, welche ohrenbetäubend schepperten sobald es Zeit wurde aufzustehen. Er setzte sich hin und rieb sich die müden Augen. Die letzte Runde gestern Abend mit den Jungs war wohl doch zu viel gewesen. Brian war 23 geworden und hatte damit endlich den Freifahrtschein in der Tasche, um auch andere Planeten ausser Terrestria zu besuchen. Das war natürlich ein Grund zum feiern und man traf sich spät abends auf ein paar Bier im „Boners Inn“, dem einzigen Stripclub hier auf dieser Station. Als Jeff dann auch noch auf die Idee kam eine der Damen zu Brian zu locken, ging der Spass erst richtig los und jeder betrank sich masslos. Dumm nur, dass Marcus der einzige war der am nächsten Morgen pünktlich auf der Matte stehen musste.
Der Instant-Kaffee dieser neuen Maschinen war scheusslich. „Eins, zwei, schau nur zu, bester Kaffeegenuss im Nu!“ hiess es in der Werbung. Natürlich war ihm klar, dass er diesen Sprüchen niemals glauben würde und schliesslich war die Maschine auch ein Weihnachtsgeschenk gewesen. Aber er hasste sie trotzdem. Der Becher war zwar in 5 Sekunden voll, aber was auch immer da herausströmte, diese Brühe konnte keinesfalls als Kaffee bezeichnet werden. Was anderes konnte er sich derzeit jedenfalls nicht leisten und so stürzte er in weniger als 10 Minuten zwei volle Becher runter, zog seinen Overall an, packte seine Tasche mit dem Werkzeug und machte sich auf den Weg.
Von seinem Apartment bis zur Metro waren es nur wenige hundert Meter, wo auch schon Stephanie auf ihn wartete. Ein nettes junges Mädchen um die 20, Assistentin auf der hiesigen Krankenstation.
„Guten Morgen Marcus!“ rief sie ihm gutgelaunt zu, doch mehr als ein gebrummeltes „Morg'n.“ brachte er noch nicht zustande.
„Wurde wohl doch etwas später gestern, wie?“
Wenn Blicke töten könnten, hätte er sie zu diesem Zeitpunkt bereits viergeteilt. Der Zug kam und sie stiegen ein. Es waren zwar nur 2 Stationen die er zu fahren hatte und doch war Marcus immer wieder froh, dass die Metro fast geräuschlos auf ihren Magnetschienen fuhr.
„Hör mal, wenn du morgen Abend noch nichts vor hast könnten wir beide ja mal ausgehen..?“ fragte Stephanie und sie sah ihn mit dem wohl verführerischsten Blick an, den sie in ihr Gesicht zaubern konnte.
„Mal sehen“, brummelte er und hoffte damit dieser Konversation aus dem Weg gehen zu können. Natürlich, dieses Mädchen war nett und durchaus hübsch anzusehen, aber trotzdem nicht nach seinem Geschmack. Somit war es ihm auch mehr als unangenehm wenn er sich jeden Morgen mit ihr unterhalten musste. „Ich muss hier raus. Man sieht sich!“
Er verabschiedete sich und ging geradewegs auf das Büro seines Arbeitgebers, der Bramcorp, zu. Die Bramcorp hatte sich auf alle möglichen Dienstleistungen im Baugewerbe spezialisiert, vor allem aber auf die Entwicklung sowie den Unterhalt technischer Fortbewegungsmittel. Aufzüge, Rolltreppen, Fliessbänder und sogar die Metro war von ihnen. Man konnte kaum 100 Meter gehen ohne nicht irgendwo auf das weitläufig bekannte blaue B des Firmenlogos zu stossen. Marcus' Onkel hatte ihm hier nach dem Ingenieursstudium den Job verschafft, auch wenn es überhaupt nicht das war, was er eigentlich tun wollte. Viel lieber würde er irgendwo in einem bequemen Sessel sitzen und über Plänen für neue Erfindungen brüten, Dinge konstruieren die die Menschheit irgendwann mal noch brauchen könnte. Aber wenn es nach seinem Boss ginge war es bis dahin noch ein weiter Weg. Erst einmal war er für die ehrenvolle Aufgabe der Aufzugsreparatur eingeteilt. Im Klartext hiess das in Luftschächten rumzukriechen und mit öligen Fingern an irgendwelchen Schrauben rumzudrehen.
„Morgen Mr. McKinley“, begrüsste ihn Mrs. Arkinson, die Sekretärin seines Chefs. „Die Unterlagen für Ihren nächsten Auftrag liegen wie immer auf dem Tisch. Einen schönen Tag noch.“
Ihre gespielte, nur zweckmässige Freundlichkeit war wie immer ein Lichtblick wenn er das Büro früh morgens betrat. Immerhin war er die meiste Zeit unterwegs und hatte somit nur sehr wenig mit ihr zu tun. Er ging zu seinem Arbeitsplatz, an dem er in den letzten 2 Jahren vielleicht drei mal gesessen war, und nahm die braune Mappe mit den Dokumenten in die Hand. Die Bohrstation auf Opteron 2 soll abgebaut werden, da die Rohstoffe dort erschöpft seien. Unter anderem waren dort natürlich auch Aufzüge verbaut worden. Marcus sollte dabei mithelfen diese zu demontieren und die Einzelteile in das Lager auf Opteron 1 zu transportieren.

Auf dem Weg zum Shuttle legte er noch einen Zwischenstopp beim Zeitschriftenhändler seines Vertrauens ein. Harry war bereits seit über 10 Jahren Eigentümer des kleinen Ladens an der Ecke zwischen der Krankenstation und dem Shoppingcenter und der einzige bei dem Marcus bei Gelegenheit seine Zeitung kaufte. Der Astromailer war vielleicht nicht die Art von Lektüre welche die hohen Tiere der Konzernleitungen lasen, aber für Marcus war es dank der jungen Redaktion genau der richtige Stil mit dem sich ein 26-jähriger identifizieren und auseinandersetzen konnte. Nebst den täglichen Meldungen aus Politik und Wirtschaft gab es auch Artikel über Musik, Film, usw. Alles Medien die zwar langsam am aussterben, aber vor allem bei der jüngeren Generation noch immer beliebt waren.
Marcus reichte Harry seinen RIG-Chip über die Ladentheke. Er zog ihn über den Sensor, lud die aktuelle Version des Astromailer darauf und buchte ihm im gleichen Zug 1,50 dafür ab.

Das Shuttle hatte Verspätung, wie immer. „Auf diese Piloten ist doch längst kein Verlass mehr.“, dachte er sich und setzte sich auf die Bank unterhalb eines Werbeschirms der Recommencer. „Sieg durch Glaube. Sieg durch Kraft. Sieg durch Wissenschaft.“ besagte die Videobotschaft von Thomas R. Penicula, dem Gründervater dieses ominösen Vereins. Ausser der Tatsache, dass sein Arbeitgeber ebenfalls von den Recommencern aufgekauft wurde, hatte er mit dieser „Kirche“, wie sie sich selbst nannten, nicht viel zu tun. Aber so ging es wohl noch so manchem Einwohner von Terrestria – hoffte er zumindest. Zwar waren ihm die meisten ihrer Machenschaften nicht bekannt, aber er wusste, dass sie fast überall ihre Finger mit ihm Spiel hatten. Bauunternehmen, Hochzeiten und sogar Geburten oder Nahrungsmittellieferungen mussten erst durch die Recommancer genehmigt werden. In dieser weitläufigen Station gab es zwar die eine oder andere künstliche Gemüseplantage und Schweinefarmen, aber alles andere wurde monatlich mit riesigen Transportshuttles hergeflogen um die rund 5000 Menschen auf diesem Planeten mit dem Nötigsten zu versorgen.
Somit war letztendlich auch Marcus im Dienst der Priester unterwegs und musste die Drecksarbeit für sie erledigen. Wie zum Beispiel den Abbau der Station auf Opteron 2.
Gedankenverloren sah er aus den Heckscheiben des Shuttles und bewunderte einmal mehr die imposante Erscheinung der Station, die langsam aber stetig kleiner wurde. Sie erstreckte sich beinahe über die Hälfte des Planeten und war mit gigantischen Stützpfeilern darauf errichtet worden. Es musste Jahre gedauert haben.
Nach etwa zwei Stunden würde das kleine Passagierschiff die mehreren tausend Kilometer hinter sich gebracht haben. Genug Zeit für ihn um sich seiner Lektüre, dem Astromailer, zu widmen. Er wählte sich durch das Menü an seinem RIG und kurz darauf erschienen die Artikel der Zeitung als Hologramm direkt vor seinem Gesicht. Im Hauptartikel unter der grossen fetten Schlagzeile ging es einmal mehr um die Recommencer und ihre „erstaunlichen Fortschritte in der Forschung“. Irgendwas von neuen bahnbrechenden Heilungsmethoden und der erfolgreichen Erschliessung neuer Planeten zur Rohstoffförderung. „Blödsinn!“, dachte er sich und überflog die Zeilen nur hastig. Mehr Aufmerksamkeit widmete er einem Text über Opteron 1 und 2. Er besagte, dass man auf dem Planetoiden nur auf wenig Mineralien gestossen sei und diese nun vollständig aufgebraucht seien. Die komplette Einrichtung mitsamt Personal solle vorläufig auf dem minimal grösseren Zwillingsstern zwischengelagert werden bis weitere Schritte eingeleitet würden. „Eine Zwischenlagerung? Wozu? Welchen Zweck hat es, hunderte von Menschen auf einer kleinen Station zu halten, fernab von Zuhause und ohne Arbeit?“ Zu seinem Glück hatte Marcus seine Gedanken nur vor sich hin gemurmelt – er wollte gar nicht wissen was man wohl mit ihm anstellen würde, sollte sich herausstellen, dass er die Entscheidungen der Recommencer in Frage stellte. Nervös blickte er sich um, nur um sich zu vergewissern, dass ihn niemand gehört hatte. Doch von den wenigen Passagieren die mit an Bord waren schien jeder in seine eigenen Gedanken vertieft zu sein.
Schon von weitem konnte er durch das kleine Seitenfenster neben ihm das Zwillingspäärchen der Opteron-Planetoiden erkennen, verbunden durch eine der bahnbrechendsten Bauten der Bramcorp, dem Spacelift. Er bestand aus einer langen Verbindungsstrecke zwischen den beiden Sternen auf denen jeweils eine Ein- und Ausstiegsstation angebracht war, die sich mit der Rotation der beiden Planeten mitbewegen konnten. Damit war der Transport von Gütern und Personen innerhalb kürzester Zeit möglich und vereinfachte vor allem die Rohstoffförderung um ein Vielfaches. In der ganzen bekannten Galaxie waren solche Lifte gebaut worden, jeder einzelne davon hatte Millionen an Steuergeldern verschlungen. Was wohl nun aus jenem zwischen Opteron 1 und 2 würde? Allein der Abbau würde Jahre benötigen und die Beschäftigung der dazu nötigen Arbeitskräfte war alles andere als billig.
Er schnallte sich an um beim holprigen Landeanflug nicht aus seinem Sitz zu fallen. Der Eintritt in die Atmosphäre war auf einigen Planeten sehr problematisch, aufgrund ihrer Beschaffenheit und der unterschiedlichen Anziehungskraft. Auf Opteron betrug sie ein vielfaches der Erde und der Pilot hatte einiges damit zu tun zu verhindern, dass das kleine Schiff nicht ungebremst auf die Planetenoberfläche stürzte. Dies hätte den Tod zahlreicher Menschen – und teurer Arbeitskräfte – bedeutet, vor allem wenn auch noch die Station in Mitleidenschaft gezogen würde. Und für die Recommencer gab es nichts Wichtigeres als den Erhalt ihrer Arbeitskräfte. Die seelischen und menschlichen Verluste waren ihnen egal, aber jeder einzelne verstorbene Mitarbeiter musste durch einen Frischling ersetzt werden, den man erst über Monate hinweg einarbeiten musste, was wiederum einen leeren Platz hinterliess und natürlich Gelder für dessen Ausbildung verschlang. Überspitzt könnte man sagen, dass nicht in Jahren oder Dollar kalkuliert wurde, sondern in Menschen. Der Bau eines Aufzugs? 5 Menschen. Eine neue Gondel für die Metro? 15 Menschen. Eine ganze Station wie die auf Terrestria? Hunderte von Menschen und somit beinahe unbezahlbar.
Aber der Pilot konnte sich glücklich schätzen, das Shuttle mitsamt Insassen sicher angedockt zu haben, hätte er doch andernfalls seine komplette Existenz verloren, würde jemand von einem solchen Vorfall erfahren. Und das wiederum wäre nur eine Frage der Zeit.
Marcus entstieg dem Shuttle und ging den schmalen Korridor entlang bis zum Check-In, bei dem er seinen Arbeitsauftrag einem überkorrekten Beamten vorzeigen musste. Dieser nickte bloss und wies ihn an weiterzugehen, bis zur Personenkontrolle. Eigentlich kannten ihn die Wachleute bereits, es war nicht Marcus' erster Besuch auf dieser Station – auf der kleinen Opteron 2 war er hingegen noch nie. Dennoch musste auch er jedes mal das selbe Prozedere wie alle anderen über sich ergehen lassen und sein RIG in die Scanvorrichtung halten. „Marcus McKinley, Aufzugstechniker, Bramcorp. Alter: 26, Grösse: 174cm, Hautfarbe weiss, Augenfarbe: braun.“ stand wie immer auf dem Schirm neben dem diensthabenden Wachmann.
„In Ordnung, willkommen auf Opteron 1.“ Sagte er und Marcus betrat die grosse Eingangshalle.




© 2011 lendenzorn, bzw. der sich hinter dem Pseudonym befindliche Autor