Spieletest "The Whispered World"
Es kam wie es kommen musste: nachdem Daedalic Entertainment bereits im letzten Jahr mit ihrem Erstlingswerk Edna bricht aus ein Überraschungshit gelang, konnte ein weiteres Spiel natürlich nicht allzu lange auf sich warten lassen. Und dieses Jahr bereits hatte unser kurzes Warten ein Ende. The Whispered World erklomm die Regale der Händler und wollte erneut die Herzen der rätselnden Gemeinde für sich gewinnen. Ob und wie dem Team dieser Streich erneut gelang, lest ihr in den folgenden Zeilen.

Es war einmal...
ein Junge namens Sadwick. In eine Zirkusfamilie hineingeboren, wurde ihm bereits in jungen Jahren der Beruf eines Clowns auferlegt - gegen seinen Willen natürlich. Fortan zog er mit seinem Opa und Ben, seinem Bruder, durch die Lande und erfreute das nicht immer zahlreiche Publikum mit seinen Spässen. Eines Nachts aber widerfuhr dem Clown in einem Traum eine Vision: eine grosse blaue Kugel erschien und prophezeihte ihm, dass gerade er den Untergang der Welt herbeiführen würde. Durch all das was ihm bereits zugestossen war, minderte sich auch Sadwicks Laune bis aus dem einst normalen Jungen ein trauriger, melancholischer Clown ohne Lebenswillen wurde. Vom Entschluss gefasst sich seinem Schicksal zu stellen, zog er fort von seiner Familie und dem Zirkusleben, um das Ende der Welt vielleicht doch noch abwenden zu können. Mit dabei an seiner Seite war wie immer sein einziger Freund: die stets quietschvergnügte Raupe Spot.

The Whispered World führt den Spieler durch eine Fantasywelt wie er sie selten zuvor erleben durfte. Im Lande rund um das Schloss Corona ist nichts so wie man es von irgendwo her kennt. Sadwick trifft auf feige Botenjungen, sprechende Steine, die furchterregenden Asgil und macht sogar Bekanntschaft mit einem rätselhaften Mönch. Die in 4 Kapiteln erzählte Geschichte birgt natürlich allerhand Rätsel, wie es sich für ein richtiges Adventure gehört. Und dies führt uns auch schon zum

Gameplay
Wie bereits erwähnt ist Sadwick alles andere als eine Frohnatur und somit auch nicht leichten Fusses in der geflüsterten Welt unterwegs. Während sich Szenenwechsel ganz einfach per Doppelklick abkürzen lassen, bedarf es manchmal schon ein klein wenig Geduld, bis der kleine Clown sich in den scrollenden Bildschirmen von der einen zur anderen Seite bewegt hat. TWW ist somit wie so manches Adventure kein Spiel für solche die es eilig haben. Hier ist Gemächlichkeit eher an der Tagesordnung, denn auch nie gilt es, ein Rätsel unter Zeitdruck zu lösen. Diese sind ganz im Tradition des Genres bis auf wenige Ausnahmen sehr klassisch gehalten: sammle jeden möglichen Gegenstand auf und versuche ihn mit anderen Objekten aus dem Inventar oder der Spielwelt zu verbinden. Knobeleien die sich nur durch Dialoge lösen lassen, sind beispielsweise nicht vorhanden. Hier ist in erster Linie das Denkvermögen des Spielers gefragt und oftmals wird sogar erfordert, dass man die Lösung nur errät, indem man um eine oder mehrere Ecken herum denkt. Um es kurz zu machen: TWW ist beileibe kein Spiel für Neulinge. Viele Rätsel sind zwar mit purer Logik zu lösen, aber andere wiederum benötigen ein geschultes Abenteurerhändchen welches sich schon an Klassikern wie der Monkey Island-Serie üben durfte. Glücklicherweise verzichteten die Entwickler darauf, irgendwelche Schranken der Marke Runaway einzubauen, wo sich manche Gegenstände erst dann mitnehmen liessen, wenn man bereits ein bestimmtes Rätsel gelöst oder einen vorgesehen Dialog geführt hat. Sadwick darf von Anfang an alles einpacken was er findet und für nützlich empfindet. Als nützlicher Sidekick im Spiel erweist sich immer wieder Spot. Im Laufe des Spiels kann die kleine Raupe 5 verschiedene Formen annehmen und sich auf diese Weise z.B. in eine kriechende Fackel verwandeln um Objekte in Brand zu setzen. Wer also einmal partout nicht weiter weiss, ist gut damit beraten, den kleinen Helfer einfach mal für alles mögliche einsetzen zu wollen - lustiger Kommentare seitens Sadwick inklusive. Auf diese Weise arbeitet sich der Spieler von Kapitel zu Kapitel vor und wird immer wieder vor ziemlich harte Kopfnüsse gestellt. Oftmals bleibt uns aber die Wahl in welcher Reihenfolge wir die Aufgaben anpacken wollen, da es immer mehrere Dinge parallel zu erledigen gibt. Gegen Ende des Spiels jedoch haben es die Entwickler entweder etwas übertrieben, oder ihnen sind die Ideen ausgegangen. Hier legt der Schwierigkeitsgrad mit einem nervenaufreibenden Schieberätsel nochmals um einiges zu - wer da nicht an den Rand der Verzweiflung getrieben wird, muss wohl ein wirklich geübter Meister sein! Alles in allem bleiben die Knobeleien aber trotzdem sehr fair und sind mit genügend Geduld und Köpfchen für jedermann lösbar.

Zur Steuerung indes gibt es nicht viel zu sagen, da sie beinahe 1:1 vom Klassiker The Curse of Monkey Island übernommen wurde. Per Druck auf die Leertaste lässt sich die beliebte Hotspotanzeige aufrufen und wer mit gedrückter Maustaste 1-2 Sekunden auf einem Gegenstand verweilt, erhält ein klassisches Menü mit den Optionen "betrachten", "nehmen" und "sprechen", wobei letztere natürlich auch des öfteren für andere Aktionen eingesetzt werden. Szenenwechsel per Doppelklick sind mittlerweile im Genre genau so üblich wie ein Abbrechen einzelner Sätze per einfachem Tastendruck. Wer also lieber liest anstatt den Sprechern zuhört, dem sind hier keine Stolpersteine in den Weg gelegt.

Sound
Wo wir gerade bei den Sprechern sind: keiner der im Handbuch aufgeführten Namen kam mir in irgend einer Weise bekannt vor und doch macht ausnahmslos jeder seine Sache vortrefflich. Dialoge erscheinen zu keiner Zeit abgelesen, sondern überzeugen mit korrekter Betonung sowie einer sehr verständlichen Ausdrucksweise. Nebencharaktere wird man in der geflüsterten Welt nicht viele antreffen, aber jedem wurde mit Hilfe der passenden Stimme noch einiges mehr an Persönlichkeit in die Wiege gelegt. Die Hintergrundmusik weiss ebenso zu überzeugen. Oft lauscht man den traurig-melancholischen Klängen eines Pianos oder einer Oboe und zu keiner Zeit wirkt die Musik aufgesetzt oder gar unpassend. Die Stimmung der Welt wird wundervoll untermalt und erzeugt so mit der gelungenen sowie eigenen Optik eine Atmosphäre wie sie nur wenige Adventures bieten können. Als einziges Manko muss man hier anmerken, dass einige Tracks etwas kurz geraten sind und sie somit immer wieder von vorne beginnen, während man noch über die Lösung eines Rätsels nachdenkt.

Grafik
Bei der Optik von TWW fällt es mir sehr schwer, nicht ins Schwärmen zu geraten. Schon so oft wurde ich von Titeln wie Geheimakte Tunguska oder The Book of Unwritten Tales mit detailliert animierten Hintergründen und hübsch texturierten Charakteren verwöhnt. Aber noch nie zuvor bot ein Spiel eine solche Farbenpracht wie Daedalics neuester Streich. Jede einzelne Szenerie wurde in mühsamer Handarbeit gezeichnet und coloriert und bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Jeder einzelne Stein einer Burgmauer ist zu erkennen, wie auch Grashalme oder Blätter eines Baumes. Hinzu kommt die einzigartige Stimmung die durch die Lichtverhältnisse erzeugt wird, etwa wenn im zweiten Kapitel des Nachts die Wege nur durch Kerzen erleuchtet werden und der Mond fahl am Himmel steht und die Wolken in ein sanftes Licht taucht. Die Paralellen zu The Curse of Monkey Island sind teilweise nicht von der Hand zu weisen und doch hat jeder Bildschirm seinen eigenen Stil. Was hier geboten wird ist absolute Spitzenklasse und ganz klar die neue Referenz der Adventures im Comiclook. Nicht ganz so detailliert sind leider die verschiedenen Animationen der Charaktere. Hier ist alles ein wenig minimalistischer, ohne jedoch als unpassend oder störend zu erscheinen. Im Gesamtbild ist und bleibt alles stets stimmig und wunderschön.

In diesem Punkt möchte ich nochmals auf einzelne Dinge eingehen, welche TWW so besonders machen. Wie schon erwähnt, lebt die geflüsterte Welt inklusive Sadwick von ihrem traurig-melancholischen Grundton. Hier merkt man an jeder Ecke dass diese einstmals schöne Fantasywelt ihrem Ende entgegenschaut. Und doch schwingt in jeder Dialogzeile jede Menge Humor mit. Seien es die doch sehr skurrilen Charaktere oder die teilweise hochgradig absurden sowie amüsanten Rätsel - es gibt sehr viel zu lachen in diesem Spiel. Meistens zeichnet sich die kleine Raupe Spot dafür verantwortlich, die mit ihrer guten Miene zum bösen Spiel stets alles ins lustige kehrt. Die Animationen des Sidekicks sind so knuffig geraten, dass man nicht drum herum kommt dieses Tierchen sofort in sein Herz zu schliessen. Und egal ob Sadwick sich mal wieder über seinen Freund lustig macht oder ihn beim Lösen der Rätsel quält; er ist stets gut gelaunt und folgt seinem Herrchen auf Schritt und tritt. Die Beziehung der beiden ist so was wie der Mittelpunkt des Spiels und im gesamten betrachtet etwas vom wundervollsten was ich je in einem Spiel erleben durfte. Dadurch weckt TWW allerlei Emotionen und wird zu etwas ganz besonderem. Hinzu kommt der einzigartige Kopierschutz, der in einer solchen Form zuletzt in Klassikern von LucasArts seine Verwendung fand: in der Packung befindet sich nebst der DVD und einem ausführlichen Handbuch nämlich auch ein Wendeposter mit einem Würfelspiel auf der Rückseite. Und diese drei Spielwürfel stellen mit ihrem Symbolen die erste Hürde beim Eintritt in die geflüsterte Welt dar. Nur wer die Symbole korrekt einstellt gelangt ins Hauptmenü - und dies bei jedem Spielstart. Dies kann auf Dauer etwas nervig werden, wenn man immer nur für kurze Zeit spielen möchte. Zudem möchte ich nicht wissen was passiert, wenn einer der Würfel einmal verloren gehen sollte. Doch glücklicherweise sind sie gross genug um nicht versehentlich vom Staubsauger gefressen zu werden.


Pro
- Wunderschöne Welt mit einzigartiger Atmosphäre
- Sidekick Spot
- Ungewöhnliche Geschichte mit noch ungewöhnlicherem Ende
- fordernde sowie absurde Rätsel
- Spieldauer (12-15 Stunden)
- tolle Bonussektion am Ende des Spiels
- Skurrile Charaktere...


Contra
- von denen es leider nicht sehr viele gibt
- Schieberätsel im letzten Kapitel
- mit der Zeit nerviger Kopierschutz

Fazit
The Whispered World macht genau das, was andere Spiele so oft versuchen und dabei kläglich scheitern: es erzählt eine wundervolle sowie spannende Geschichte und weckt dabei sogar Emotionen, von denen viele Spieler vielleicht nicht einmal wussten, dass sie sie überhaupt besitzen. Ich sass sehr oft laut lachend vor dem Monitor, hab mir das Hirn zermartert und hatte jedes mal fast ein wenig Mitleid, wenn Spot wieder zu einer quälenden Aktion gezwungen wurde - und musste im nächsten Augenblick erneut lachen, wenn Spot alles mit seinem unerschütterlichen Grinsen hinnimmt. Sadwick und Spot sind für mich das Adventurepäärchen des Jahrhunderts und weit vor Nina und Max (Geheimakte) oder dem Trio aus The Book of Unwritten Tales. Wie sehr hoffe ich auf einen Nachfolger... aber angesichts des Endes der Geschichte ist dies leider nicht zu erwarten. Dennoch bleibt The Whispered World ein Spiel welches man sich als Adventureliebhaber keinesfalls entgehen lassen darf!

Grafik: 91%
Sound: 89%
Steuerung: 90%
Rätsel: 89%
Atmosphäre: 93%
Gesamtwertung: 91%