Spieletest "Lost Horizon"
Fürwahr, das deutsche Designstudio "Animation Arts" hat sich in den vergangenen Jahren durchaus einen Namen gemacht, vor allem dank ihrem Vorzeigetitel "Geheimakte Tunguska"

So langsam wird es jedoch an der Zeit, dass "Animation Arts" anstatt einem weiteren Geheimakte-Ableger ein neues Projekt angeht, um vielleicht das Abenteuerpäärchen Nina und Max endlich vom Thron zu stossen. Mit dem neuen Titel "Lost Horizon" soll dies Vorhaben nun gelingen. Aber hat der neue Held wirklich das Zeug zum Superstar?

Story
Hong Kong im Jahre 1938. Damals noch eine britische Kolonie die sich zum einen mit Triadenkonflikten und zum anderen mit den Nazis beschäftigen muss, beherbergt unter anderem den Protagonisten von "Lost Horizon": ein britischer Ex-Militär namens Fenton Paddock. Dieser wurde aufgrund eines tragischen Unfalls unehrenhaft aus der Armee entlassen und verdient sich seitdem seine Brötchen als Luftkurier indem er Pakete mit seiner Ford Propellermaschine in fremde Länder exportiert. Zum Leid der örtlichen Triade betreibt Paddock dieses Geschäft aber nicht nur auf legalem Wege und kommt so den Chinesen das eine oder andere Mal in die Quere, woraufhin sie den Charmebolzen sogleich in einer Kiste auf dem Grund des Meeres verschwinden lassen wollen. Natürlich gelingt ihm die Flucht aus seinem nassen Grab und wird daraufhin zu seinem ehemaligen Boss gerufen, der einen Auftrag für ihn hat: sein Sohn verschwand bei einer Expedition in Tibet und Paddock soll ihn ausfindig machen - schliesslich handelt es sich dabei um seinen besten Freund. Da der britische Gouverneur ihm die Hilfe im Triadenkonflikt anbietet, willigt unser Held ein und die Reise kann beginnen - auf nach Tibet und auf in ein Abenteuer, welches streckenweise an die guten alten Klassiker von Indiana Jones erinnert.

Fenton Paddock besucht in "Lost Horizon" nicht nur diverse Länder auf 3 verschiedenen Kontinenten, sondern ist dabei auch dem Thule-Kult der Nazis und einem sagenumwobenen Geheimnis auf der Spur - ganz im Stil von Dr. Jones als dieser das Geheimnis von Atlantis lüftet oder dem heiligen Gral nachjagt.
Man denke sich einfach eine Peitsche und den Schlapphut hinzu und schon hat man einen etwas jüngeren und dynamischeren Hobby-Archäologen.

Leider kommt unser Held anders als in den LucasArts-Titeln nicht immer ganz so spritzig daher wie man es erwarten könnte. Er besitzt zwar viel Charme den er gern einmal einsetzt und hat auch den einen oder anderen flotten Spruch auf Lager wenn er nicht gerade die Fäuste für sich reden lässt - und dennoch mangelt es ihm an der Originalität welche der pixelige Harrison Ford für sich beansprucht hatte. Näheres dazu jedoch später.

Gameplay
Als klassisches Point & Click Adventure spielt sich "Lost Horizon" wie man es erwarten würde. Oder kurz gesagt, es spielt sich genau so wie die "Geheimakte"-Titel: Das Inventar ist stets am unteren Bildschirmrand eingeblendet, per einfachem Linksklick lassen sich Objekte aufheben und kombinieren, die rechte Taste dient der näheren Betrachtung und dem Abbruch von Gesprächen oder Zwischensequenzen. Per Mausbewegung navigiert man den Cursor an die gewünschte Stelle und schickt Paddock per einfachem Mausklick dort hin. Praktisch dabei ist, dass die Spielfiguren bei weiter entfernten Objekten automatisch zu laufen beginnen, um die Strecke schneller hinter sich zu bringen. Spielfiguren? Ja, richtig gelesen: im Laufe des Abenteuers wird man nicht nur dem jungen Briten Befehle erteilen können, sondern auch seiner weiblichen begleiterin sowie einem weiteren, aus spoilergründen nicht genannten Charakter. Auswirkungen auf das Gameplay hat dies jedoch selten, abgesehen davon dass sich manchmal Gegenstände von einem Charakter zum anderen schieben lassen, damit der andere damit was tolles anzustellen vermag. Leider hat man aus dieser Grundidee viel zu wenig rausgeholt, so dass es immer der selbe Ablauf bleibt: Person A sammelt Gegenstand ein und übergibt diesen Person B, damit Person B sich aus ihrer Situation befreien kann. Ein grossartiges Hin und Her wie beispielsweise in "Geheimakte Tunguska", wo Max Nina aus ihrem Gefängnis befreien muss, gibt es nicht. Keine komplexen langen Rätselketten, keine weitreichenden Kopfnüsse, nichts dergleichen. Sehr schade.

Diese "Designpatzer" schlagen sich letztendlich natürlich auch auf das Rätseldesign nieder und wer es bereits vermutet hat wird hiermit Bestätigung erfahren: "Lost Horizon" ist für erfahrene Abenteurer viel zu einfach. 90% der benötigten Utensilien lassen sich einfach so einsammeln und dann gilt es nur noch, diese im Inventar miteinander zu verbinden. Oftmals ist dabei auch keine längere Denkphase nötig, da man durch wahlloses durchprobieren ebenso oder manchmal gar schneller zum Ziel kommt, denn in manchen Fällen ist auch gar nicht so richtig klar, was als nächstes zu tun ist, bzw. was man mit den eingesammelten Gegenständen anfangen soll. Die einsetzbare Rätselhilfe wurde gegenüber "Geheimakte 2" deutlich entschlackt und in "Lost Horizon" sagt uns nur noch eine Erzählstimme, welche Aufgabe als nächstes vor Fenton liegt - ohne jedoch ein wenig detaillierter auf eine Teilaufgabe oder gar einen Lösungsweg einzugehen. Für Frust sorgt dies jedoch auch bei Anfängern selten, da man mit ein wenig Geduld und herumprobieren bald auf den richtigen Ansatz stossen wird.
Das Rätseldesign indes gibt sich klassisch: Objekt- und Inventarrätsel haben Vorrang, vor 1-2 eingestreuten, einfachen Schiebepuzzles die kein Vergleich zu den Hürden darstellen wie sie uns beispielsweise in "Black Mirror 2" oder "Nibiru" in den Weg gelegt wurden. Ausserdem darf man jedes mal frei wählen, ob man sich lieber an der einfachen oder an der schwereren Variante versuchen möchte, wobei die schwerere oftmals nicht wirklich eine spürbar grössere Herausforderung darstellt.
Glücklicherweise wurde auf simple Dialogrätsel oder Designfallen wie das "Runaway-Syndrom" verzichtet, bei dem sich Objekte erst dann aufheben liessen nachdem sich der Protagonist sicher war, dass er sie auch wirklich braucht. Somit bleiben die Rätsel trotz ihrer Einfachheit zumeist logisch, fair, nachvollzieh- und vor allem lösbar.

Sound
Einmal mehr hat sich "Animation Arts" mächtig ins Zeug gelegt um bei der Vertonung sowie der Synchronisation von "Lost Horizon" so richtig zu punkten. Fast jede Stimme die man zu hören bekommt, kennt man aus Film und Fernsehen und so wurde beispielsweise der deutsche Sprecher von Ewan McGregor dazu verpflichtet, den über 86'000 Worten Leben einzuhauchen. Eine wahrlich beeindruckende Zahl, die zuweilen gar erdrückend sein kann. In den eingestreuten Cutscenes oder auch in anderen Dialogsituationen kann ein Gespräch schon mal sehr ausufernd werden und mehrere Minuten in Anspruch nehmen. Wer seine Boxen genügend laut aufdreht, kann in dieser Zeit gemächlich auf die Toilette gehn und sich in der Küche einen frischen Kaffee aufbrühen - rein optisch verpasst man dabei nie etwas. Unglücklicherweise schaffen es die Gespräche dabei nicht immer, die Spannung der Geschichte aufrechtzuerhalten. Wer sich also nicht voll und ganz mit der Thematik von Thule-Kult & Co. identifizieren kann, wird wohl auch versucht sein, den einen oder anderen Satz per Mausklick abzukürzen, da auch gerne mal eine bereits gehörte/gesehene Information wiederholt wird. Praktisch für jene die beim Genuss eines Adventures gerne Pausen einlegen, eher unvorteilhaft für alle die von solchen Spielen nicht genug kriegen können. Nichts desto Trotz sind die Dialoge durchs Band weg hervorragend vertont und reihen sich hier zu Konkurrenztiteln wie "The Book of Unwritten Tales" an der Genrespitze ein.

Musikalisch wird abgesehen von den Zwischensequenzen meistens nicht allzu viel geboten, was allerdings nie störend ins Gewicht fällt. Umgebungsgeräusche, Wettereffekte usw. sind gewohnter Genrestandard und weder etwas besonderes noch ein Tiefschlag.

Grafik
Der Zahn der Zeit ist niemals aufzuhalten und er nagt ununterbrochen an allem was mit Technik zu tun hat - in diesem Falle betrifft das auch die verwendete Grafikengine die schon bei "Geheimakte Tunguska" zum Einsatz kam. Die 2D-Hintergründe gehören grösstenteils einmal mehr zur Kategorie Augenschmaus, während sich die Polygoncharaktere irgendwie nicht so recht ins Geschehen einfügen wollen. Nicht nur sorgt das fehlende Anti-Aliasing für störende Treppeneffekte, sondern die schwache Texturierung fällt ebenso auf - besonders wenn man die Figuren einmal von näherem zu Gesicht bekommt. Hinzu kommen oftmals ein wenig steife Animationen sowie fehlende Lippensynchronität, womit es leider nicht mehr bis aufs Treppchen reicht. Hier hätte eindeutig mehr drinliegen sollen, wie "The Book of Unwritten Tales" bereits eindrucksvoll bewiesen hat.
Die Zwischensequenzen indes sind durchaus nett anzusehen und zeigen auch hier das eine oder andere liebevolle Detail.


Pro
- Sehr einfache Bedienung
- richtiges Abenteuer-Setting à la Indiana Jones
- diverse Länder auf 3 Kontinenten
- hervorragende Vertonung
- Aufmachung wie ein Kinofilm
- zumeist logisch designte Rätsel...


Contra
- ...die jedoch viel zu einfach geraten sind
- für erfahrene Spieler mit einer Spieldauer von 8-10 Stunden viel zu leicht
- teilweise weit ausufernde Gespräche
- etwas merkwürdiges, unbefriedigendes Ende

Fazit
"Lost Horizon" ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite bietet es mehr von dem was wir seit Tunguska so sehr mögen: logische Rätsel vor wunderbar gerenderten Hintergründen. Aber auf der anderen Seite nimmt es sich selber den Spielspass mit zu einfachen Rätseln, langen inhaltsleeren Dialogen sowie einem Helden der hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Fenton Paddock ist einfach kein zweiter Indiana Jones, auch wenn mancher sich das gerne wünschen würde. Er ist nicht so witzig, nicht so vorlaut, nicht so halsbrecherisch und einfach nicht so cool wie der Archäologe mit dem Schlapphut - aber dennoch ein sympathischer Hauptcharakter der prima in seine Rolle passt. Leider wirkt die Story um die Nazis und ein sagenumwobenes Geheimnis ein wenig aufgesetzt und nicht immer spannend, auch wenn die Ansätze durchaus vielversprechend sind und einem Indy-Fan durchaus gefallen können. Insgesamt bleibt das Spiel einfach hinter seinen Möglichkeiten zurück.
Wer das Abenteuersetting mag und noch nicht allzu viele Adventures hinter sich gebracht hat, wird mit "Lost Horizon" bestens unterhalten und wird rund 12 Stunden lang mit Freude Rätseln. Alle anderen die nicht gerade ein Comicadventure suchen und es etwas knackiger mögen, sind mit "Geheimakte Tunguska" oder dem ebenfalls hervorragenden "Black Mirror 2" besser beraten - nicht zuletzt da jene Titel längst zum kleinen Preis erhältlich sind.

Grafik: 84%
Sound: 91%
Steuerung: 93%
Rätsel: 82%
Atmosphäre: 78%
Gesamtwertung: 80%