Spieletest "A New Beginning"
Daedalic hat's bestimmt nicht leicht. "Edna bricht aus" war ein spektakulärer Erstling und "The Whispered World" wurde vielerorts kurzerhand als das beste Adventure der letzten Jahre gehandelt und in alle Himmel gelobt. Klar, dass alle Hoffnungen nun auf dem neuesten Werk namens "A New Beginning" (nachfolgend kurz ANB genannt) ruhen. Die alten Stärken wie z.b. die wunderschön gezeichnete Comicgrafik sollten beibehalten und ausgebaut werden, um auch aus ANB eine weitere erfolgsgekrönte Marke zu schaffen. Aber ist dieses Vorhaben wirklich gelungen?

Ein neuer Anfang
Das Szenario ist aus Hollywood bereits bestens bekannt: die Welt mitsamt ihrer Bevölkerung steht vor dem Abgrund und ist dem Untergang geweiht, hervorgerufen durch den prophezeihten Klimawandel. Als wir die Funkerin Fay, unseren Hauptcharakter, erstmals kennenlernen ist die Katastrophe für sie und ihr Team jedoch bereits Vergangenheit - und das obwohl sie sich in der Gegenwart befindet. Wie das?

Zusammen mit ihrem Team aus Wissenschaftlern hat Fay die Katastrophe überlebt und haust in der zerstörten Zukunft in unterirdischen Bunkern. Um diese Misère abzuwenden, raffen sich die Damen und Herren auf, in ihren Zeitkapseln in die Vergangenheit zu reisen um die Menschheit auf ihre Fehler aufmerksam zu machen und den Klimawandel zu verhindern. Somit landet die junge Dame auf Unwegen bei Professor Bent Svensson, unserem zweiten Hauptdarsteller in diesem düsteren Zukunftsdrama. Dieser glaubt der Zukunftsfunkerin natürlich kein Wort, weshalb es erst einmal gilt, diesen zu überzeugen und für die eigene Sache zu gewinnen.
Ob die Katastrophe letztendlich doch noch stattfindet oder nicht, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten und soll von jedem selbst herausgefunden werden. Wenn man denn will, denn der Weg zur Erleuchtung ist lang, beschwerlich und nicht immer kurzweilig.

Gameplay & Steuerung
Als typisches Point & Click Adventure steuert sich ANB gewohnt bequem per Maus, während die Tastatur lediglich für die Hotspotanzeige verwendet werden muss. Beim Druck auf die Leertaste werden verwendbare Objekte grafisch hervorgehoben, womit lästiges Suchen entfällt. Weitere Rätselhilfen gibts nicht. Kein Tagebuch, keine stufenweise zuschaltbaren Tipps und leider ist auch seitens der Charaktere keinerlei Hilfe zu erwarten. Versucht man Gegenstände wahllos miteinander zu kombinieren, erklingen immer die gleichen Sätze wie "Nein!" "So nicht" oder das geliebte "Das geht nicht". Hilfreiche Kommentare sind sicherlich etwas anderes, wären aber durchaus gerne gesehen, da die Rätsel nicht immer allzu logisch aufgebaut sind. Oder wie um alles in der Welt soll man per menschlicher Logik darauf kommen, dass eine Alge am meisten Energie produziert, wenn sie genügend Licht erhält, da man diese Information nie zugesteckt bekommt? Solche Beispiele finden sich im gesamten Spielverlauf, weshalb die Rätsel nicht selten mit Trial & Error verbunden sind.
Hinzu gesellen sich "Inventarrätsel" welche man auch nur mit blossem probieren lösen kann: manche Gegenstände können im Inventar näher betrachtet, verbogen, zerbrochen oder geöffnet werden. Da dies jedoch nur auf einen Bruchteil der Objekte zutrifft, untersucht man nicht automatisch jeden Gegenstand auf diese Weise, weshalb man oftmals nur mit Glück darauf stösst - oder wenn man partout nicht weiter weiss und einfach wild drauf los probiert. Wie bereits gesagt: die fehlende Hilfestellung verbockt hier so einiges.

So einfach die Steuerung auch sein mag, so träge ist sie oftmals. Wer ein Objekt mit der linken Maustaste anwählt und länger auf der Taste verbleibt, öffnet dadurch das Kontextmenü, welches zwiwschen einer und vier verschiedenen Aktionen zulässt - je nach Objekt. Wer aus versehen jedoch ein bereits bekanntes Objekt auf diese Weise anwählt, muss das Kontextmenü erst mühsam wieder mit der rechten Maustaste schliessen - und leider geschieht dies öfters als dem Spieler lieb ist, da Gegenstände manchmal recht nah beieinander liegen und man erst durch mühselige Pixelfummelei den richtigen anwählen muss. Leider hilft hier auch die Hotspotanzeige nicht wirklich weiter, da die Hotspots auch gern mal einen Zentimeter weit daneben liegen... Daedalic was habt ihr hier bloss getan? Solche Unzulänglichkeiten gabs weder mit Edna noch mit Sadwick - irgendwas muss hier also furchtbar schief gelaufen sein.

Letzter negativer Punkt in Sachen Steuerung ist die Gemächlichkeit der Hauptfiguren. Die Welt droht zwar komplett unterzugehen und Milliarden von Menschen werden sterben - jedoch besteht scheinbar kein Grund zur Hektik. Mit der Geschwindigkeit einer Galapagosschildkröte bewegt man sich hier durch die Hintergründe und muss oftmals Animationen über sich ergehen lassen welche sich nicht abbrechen lassen. Besonders nervenaufreibend kann das sein, wenn sich der Hintergrund über mehrere Bildschirme erstreckt welche erst durchscrollt werden müssen. Da vergehen auch gerne mal 1-2 Minuten bis man dort angelangt ist wo man eigentlich hin möchte. Es ist also sehr viel Geduld gefragt, da sich lediglich Szenenübergänge per Doppelklick abkürzen lassen. Ungewollt komisch wird es auch, wenn der Charakter um ein Objekt herumlaufen muss ohne dabei den Blick vom Ziel abzuwenden. Scheinbar hatte nicht nur Michael Jackson den Moonwalk drauf, so perfekt wie er hier teilweise kopiert wird!

Fehlende Musik und schlechte Sprecher
Nein, ein Adventure muss nicht zwingend in jeder Sekunde musikalisch untermalt werden. Jedoch hat die Vergangenheit gezeigt, dass es zumeist sehr zur Atmosphäre beitragen kann. In ANB fällt die Musik meist weg und man hört bloss Hintergrundgeräusche wie Wind, Wasserrauschen, oder ähnliches. Der ansich gelungene Score kommt nur in tragenden Momenten oder in Zwischensequenzen zum Einsatz - sehr schade. "The Whispered World" hatte doch bereits eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig schön eingespielte Hintergrundmusik sein kann.

Auch bei den Sprechern hat man sich - im Gegensatz zu "The Whispered World" - zu viele Schnitzer geleistet. Dass die meisten Sprecher keine Profis mit Jahrelanger Erfahrung sind, wäre zu verschmerzen, das war bereits in vielen anderen Adventures nicht anders. Aber müssen deshalb Stimmen unpassend besetzt oder schlecht gesprochen werden? Vor allem Nebencharaktere fallen oftmals durch komplett unpassende Sprecher oder emotionslos runtergelesene Sätze auf. Als schönes Negativbeispiel sei hier ein aufgebrachter Mob genannt, der formschön eine Demonstration abhält. Selbst wenn Fay die Meute per Megafon aufhetzt, erschallt bloss ein müder Ruf von 3-4 emotionslosen, gelangweilten Stimmen. Wo ist die Lautstärke? Die Wut? Das Volumen? Komplette Fehlanzeige. Da ist es nicht verwunderlich, dass das Spiel an der komplett fehlenden Atmosphäre krankt - doch dazu später mehr.
Kommen wir erstmal zu einem Punkt der einmal mehr fast fehlerfrei daher kommt:

Grafik
Wenn die Jungs von Daedalic eines können, dann sicherlich, ihre Spiele in ein grafisch ansprechendes Gewand zu packen.
Abgesehen von den bereits erwähnten Moonwalk-Fehlern bietet die Optik einmal mehr keine Schnitzer und wartet mit vielen Details auf, die oftmals sogar hübsch animiert wurden. Die Comictechnik kann hier also erneut ihre Stärken ausspielen, nicht zuletzt weil das Spiel auch auf älteren Rechnern noch gut läuft.
Getrübt wird die Freude durch schwarze Bildschirme bei Szenewechseln (Ladezeiten) sowie einem Ruckeln welches gerne mal 3-4 Sekunden andauert, weil im Hintergrund noch die Animationen nachgeladen werden. Und das, obwohl "The Whispered World" im Allgemeinen noch viel detaillierter und schöner aussah. Also auch hier steckt irgendwo der Wurm drin.
Nicht zuletzt wird hier, beim "realistischen" Zeichenstil erstmals die grösste Schwäche der Engine erkennbar: sie kann kein AntiAliasing. So werden v.a. die Charaktere gerne mit unschönen Treppeneffekten versehen, sofern diese nicht direkt am vorderen Bildrand positioniert sind.
Ob das den Spielspass trübt sei dahingestellt, Fakt ist, dass es den positiven grafischen Gesamteindruck deutlich schmälert.

Atmosphäre
"The Whispered World" hatte eines gezeigt: Adventures können eine unglaublich intensive und dichte Atmosphäre aufbauen, in welcher man beim Spielen regelrecht versinken kann. Ähnliches hatte ich mir nun natürlich von ANB erhofft - leider vergeblich. "A New Beginning" besitzt NULL Atmosphäre, rein gar nichts, nicht ein einziges Quäntchen. Die gesamte Weltbevölkerung ist dem Untergang geweiht und das für Spiele noch neue Thema des Klimawandels könnte perfekt umgesetzt werden, würde man ein wenig auf die Tränendrüse drücken und an die eigenen Schuldgefühle der Spieler appellieren. Doch nichts von alle dem geschieht. Die Charaktere bleiben durchweg blass und eindimensional, lassen keine Emotionen aufblitzen und besitzen nichtmals Eigenschaften wie oben genannte Schuldgefühle, Reue oder angebrachte Verzweiflung. Einzig Bent Svensson sticht hier ein klein wenig heraus, dank seiner trockenen und zynischen Art. Er ist der einzige Charakter dem man seine Rolle abkauft - man glaubt ihm dass ihm alles egal geworden ist seit er seine Arbeit und damit die komplette Forschung verloren hat. Jedoch kann er alleine das Spiel auch nicht retten, da man zumeist mit Fay und ihren Mitstreitern beschäftigt ist, wovon fast jeder gepflegt langweilt und es nichtmal ansatzweise schafft, dass der Spieler vor dem Bildschirm mitfiebert. Auch hier ist also ein klarer Rückschritt zu "The Whispered World" zu verzeichnen. Schade.


Pro
- Für Spiele unverbrauchtes Thema
- Bent Svensson als unterhaltsamer Charakter
- Wechselspiel aus düsterer Zukunft und Gegenwart
- Gelungene Aufmachung im Stil eines Comics

Contra
- Eindimensionale, blasse, langweilige und emotionslose Charaktere
- einige unprofessionelle, schlecht gewählte Sprecher
- zu gemächliche Gangart der Charaktere
- oftmals umständliche Bedienung durch Kontextmenü
- unlogische Rätsel
- ..die komplett ohne Hilfe gelöst werden müssen
- komplett fehlende Atmosphäre, trotz tollem Szenario und hübscher Aufmachung


Fazit
"A New Beginning" macht im grunde fast alles schlechter als das absolut phantastische "The Whispered World". Dank des realistischeren Stils sowie Szenarios fällt das fehlende AntiAliasing viel stärker ins Gewicht, die Sprecher wurden unglücklich ausgesucht, das Rätseldesign lässt durch die fehlende Logik zu wünschen übrig und die Nerven ungeduldiger Spieler werden zu oft zu sehr strapaziert, da sich Animationen und Laufwege bis auf wenige Ausnahmen nicht abkürzen lassen. "The Whispered World" hat trotz gleicher Technik hier klar die Nase vor, dank kürzerer Laufwege und Bildschirmen die nicht unendlich lange scrollen müssen - so schön die Grafik letztendlich auch in beiden Titeln sein mag.
Ebenfalls lässt das Spiel den gelungenen Humor der beiden Erstlingswerke vermissen und auch auf eine tolle musikalische Untermalung wurde grösstenteils verzichtet, weshalb im Endeffekt auch keine Atmosphäre aufkommen kann, die man schmerzlich vermisst, da man sich auf diese Weise fast das ganze Spiel über etwas langweilt.
Wer alle anderen aktuellen Adventures kennt und vom Szenario angetan ist, kann gerne einen Blick riskieren. Wer jedoch auf der Suche nach einem wirklich spannenden und beklemmenden Spiel ist, wird mit "Black Mirror 2", "Geheimakte Tunguska" oder gar den älteren "Baphomet's Fluch"-Titeln besser beraten sein - wer hingegen ein humorvolles Comicadvanture sucht, greift ohne zu zögern zu "The Whispered World" oder "Edna bricht aus", da diese fast in allen Punkten überlegen sind. "A New Beginning" ist im Endeffekt weder Fisch noch Vogel, weder ein spannendes Adventure mit düsterem Szenario noch ein humorvolles Comicadvanture. Es versinkt leider im Mittelmass und lässt uns mit der Hoffnung zurück, dass sich Daedalic beim nächsten Mal wieder auf gewohnte Stärken stützt.


Grafik: 81%
Sound: 70%
Steuerung: 83%
Rätsel: 68%
Atmosphäre: 50%
Gesamtwertung: 55%