"Prisoners" Filmkritik



Fast jeder ordentliche Thriller der Neuzeit wurde stets um das Element der Entführung bereichert. Sei es die Ehefrau, die Freundin, die Kinder, der beste Kumpel oder wer auch immer - stets wird ein geliebter Mensch von einem Bösewicht irgendwo hin verschleppt und gefangen gehalten, bis der strahlende Retter erscheint. So kennen wir das Schema, so hat man es uns schon unzählige Male vorgesetzt. Ab und zu traut sich ein Film jedoch auch, einen leicht anderen Weg einzuschlagen, so wie "Prisoners". Das Hollywood-Debut des Franko-Kanadischen Kurzfilmers Denis Villeneuve geht die Sache langsam an, baut die Spannung nur sehr bedächtig auf und schafft es vor allem, den Betrachter mehrmals an der Nase herum zu führen.
Beinahe könnte man denken, es gäbe eine Anleitung für einen ultraspannenden Thriller - und nur Villeneuve hätte sie gefunden. Die Frage ist nur: hat er sie auch bis zur letzten Seite durchgelesen?


Story
Keller Dover (Hugh Jackman) mag ein armer, aber liebender Mann sein. Ein streng gläubiger Familienvater der für seine Liebsten durch die Hölle gehen würde, wenn es denn sein muss. Sein Verdienst beim Renovieren von Häusern und Wohnungen wirft momentan knapp genug ab um über die Runden zu kommen, und so lernt er seinem Sohn auch stets, für alles gottgegebene dankbar zu sein; auch wenn die beiden gerade zusammen im Wald einen Hirsch erlegen.
Die kleine, einfache Familienidylle an Thanksgiving wird jedoch aprupt unterbrochen, als sowohl seine Tochter Anna wie auch das Nachbarsmädchen Joy spurlos verschwinden. Der Verdacht fällt schnell auf den Besitzer eines Wohnmobils, welches zum Zeitpunkt des Verschwindens noch in der Strasse geparkt war.
Die örtliche Polizei setzt Detective Loki (Jake Gyllenhaal) auf den Fall an, einen intelligenten Mittdreissiger, dessen Ambitionen ihn endlich aus dieser öden Kleinstadt weg und in belebtere Gefilde bringen sollen. Sein Verhör mit dem jungen Alex Jones (der Fahrer des Wohnmobils) bringt jedoch nur die Erkenntnis zu Tage, dass der Verdächtige den IQ eines 10-jährigen besitzt und kaum imstande wäre, solch komplexe Taten wie eine Kindesentführung überhaupt durchzuführen.
Doch Keller glaubt fest an dessen Schuld und setzt auch nach seiner Freilassung aus der Untersuchungshaft alles daran, etwas aus ihm herauszupressen: den entscheidenden Hinweis, wo seine Tochter ist.


-> Trailer bei Youtube


Es bedarf zwar einiger Minuten, die zur Einführung der Charaktere genutzt werden, bis "Prisoners" ein wenig Fahrt aufnimmt und die Storykurbel so richtig in Gang kommt. Doch spätestens dann zeigt sich, dass Denis Villeneuve seine Geschichte anders erzählen will als seine Regiekollegen vor ihm. Hier geht es nicht um strahlende Helden, um wilde Verfolgungsjagden und bleigeladene Feuergefechte - es geht um einen Familienvater, der mit allen Mitteln seine Tochter finden will. Und die ihm zur Verfügung stehenden Mitteln sind genau die selben wie sie ein jeder hat. Keller Dover hat weder einen schwarzen Gürtel in irgend einer Kampfsportart, er kann abgesehen von seiner Jagdbüchse nicht mit Waffen umgehen und er steckt auch nicht hunderte Schläge von Muskelpaketen ein.
Doch für einmal zeigt selbst das Gesetz in Form von Detective Loki seine grüblerische, gebrechliche und vor allem nicht unfehlbare Seite. Wenn der Polizist an sich selbst zweifelt, vergeblich seinen einzigen Verdächtigen befragt und partout nicht weiter weiss; dann ist das Thrillerkino wie man es lieben muss. Jake Gyllenhaal erfüllt erstmals seit "Donnie Darko" wieder eine etwas tiefgründigere Rolle und bringt den ambitionierten, aber in seinem Job gelangweilten Gesetzeshüter schon beinahe brilliant auf die Leinwand. Nach der ersten Filmhälfte wünscht man ihm so sehr, endlich den Täter zu finden, dass man beinahe Hugh Jackman in seiner Rolle als Familienvater vergisst.

Das liegt vor allem daran, dass es Villeneuve schafft, dass die Sympathien immer wieder zwischen den Charakteren hin und her wechseln. Leidet man anfänglich mit dem Schicksal der Kleinfamilie, so fragt man sich später immer öfter, ob Kellers Taten wirklich richtig, ob sie notwendig sind. Gleichzeitig erbarmt man sich mit dem geistig behinderten Alex Jones (der vom eher unbekannten Paul Dano ebenfalls grossartig portraitiert wird) und zweifelt an den Methoden der örtlichen Polizei - nur um einige Minuten später alles wieder ins komplette Gegenteil zu kehren.
Genau diese Gratwanderung macht "Prisoners" so besonders, zu etwas anderem als dem Altbekannten. Nicht zuletzt dadurch baut sich spätestens in der zweiten Filmhälte der fast 2,5 Stunden eine unerträgliche Spannung auf, die sich erst in den letzten Minuten auflöst, nachdem das Geheimnis um den wahren Schuldigen gelüftet wurde.


Bild & Sound
Das triste, bedrückende Grau des Spätherbstes im amerikanischen Pennsylvania fängt die Grundstimmung des Filmes bestens ein, zu dem auch einsetzender Regen sowie leichter Schneefall seinen Teil beiträgt. Eingebettet in langsame Kamerafahrten und mit Bedacht gewählte Schnitte, lässt sich "Prisoners" auch in seiner optischen Aufbereitung viel Zeit für die Geschichte. Vor allem mit Totalen wurde viel gearbeitet, Nahaufnahmen und Close-Ups dienen nur ihrem Selbstzweck, während man ansonsten die Chakatere samt ihrer Umgebung durch Mimiken und Gestiken sprechen lässt. Die Farbgebung indes ist beinahe während der gesamten Filmlänge ebenfalls spektakulär unspektakulär und setzt nur mit wenigen farblichen Wechseln stilbedingte Akzente.
Damit Hand in Hand geht auch der Ton, der in erster Linie durch seinen ruhigen Mix hervorsticht. Surroundeffekte sind genau so spärlich gesät, wie die akzentuiert einsetzende Musik, welche mit Streichern und Piano die traurig-spannende Stimmung untermauert.


Fazit
Es ist lange her, seit ich einen Thriller im Kino gesehen habe. Ich empfand sie entweder als zu seicht oder die Thematik als nicht interessant genug um gerne hinzugehen - doch "Prisoners" gab ich eine Chance, die postwendend genutzt wurde. Der komplette Film gestaltet sich betont langsam und baut seine Spannung nur allmählich auf, dann jedoch umso mehr. Sämtliche Charaktere sind ausserordentlich gut besetzt und vermitteln spielend die ganze Hilflosigkeit, Verzweiflung, Trauer und Wut über eine solch schreckliche Tat, deren Ausmass man sich erst spät wirklich bewusst wird.
Bis zum wirklich gelungenen Schluss vergehen rund 2,5 Stunden, die zwar überaus intensiv aber zuweilen auch recht langatmig daherkommen.
Somit wird die gemächliche Erzählstruktur sicherlich nicht jedermannes Geschmack treffen, aber wer sich davon nicht abschrecken lässt, erlebt hier einen enorm packenden Thriller, der sich dank seiner Intensität ganz oben einreihen und wohl noch das ein oder andere mal als Referenz herhalten wird. Und irgendwie hört man es bereits rufen "..and the Oscar goes to..."

-> 8.5/10 Gesamtpunkte