Spieletest "The Vanishing of Ethan Carter" (PC)


Nicht erst seit dem immensen Erfolg von "The Witcher" wissen Spieler, dass auch in Polen tolle Titel produziert werden. Eines der jüngsten Studios hört auf den Namen "The Astronauts" und besteht aus einigen ehemaligen Mitgliedern der "People can Fly" Studios, die unter anderem für "Painkiller" und "Bulletstorm" verantwortlich waren.
Ihr neuestes Projekt allerdings hat mit bleihaltigen Gewaltorgien mal so gar nichts am Hut und versteht sich eher als modernes, digitales Kunstwerk. Ein Spiel, welches eigentlich weniger Spiel sondern mehr Erfahrung sein will und seine Geschichte weniger erzählt, sondern viel mehr darauf setzt dass der Spieler diese selbst entdeckt. Klingt kompliziert? Ist es auch.




Story
Paul Prospero ist nicht einfach irgend ein Detektiv, sondern einer mit übersinnlichen Fähigkeiten. Seine mentalen Kräfte erlauben ihm einen kurzen Blick in die Vergangenheit und diese sollen ihm dabei helfen, Ethan Carter zu finden - einen Jungen der vor kurzem im malerischen Red Creek Valley verschwunden ist.
Dass das ganze Tal menschenleer erscheint, macht Pauls Suche nicht zwingend einfacher; nur vereinzelt stolpert er über Indizien oder Leichen die Ethans Weg pflastern. Aber hat der Junge sie auf dem Gewissen oder gibt es eine andere Macht, die jene davon bewahrt hat, ihm Leid anzutun?

Zu vieles ist nicht so wie es scheint und hinter der idyllischen Fassade der herbstlichen Kulisse schlummert weit mehr als Paul Prospero erblicken kann.

-> Englischer Trailer bei Youtube


Gameplay & Steuerung
"The Vanishing of Ethan Carter" versteht sich in erster Linie als mistery Adventure in der Ego-Perspektive. Mit den Augen von Paul Prospero erkunden wir die offen gestaltete Spielwelt, ohne den Protagonisten jemals selbst zu Gesicht zu kriegen.
Die Kulisse in der wir uns bewegen besteht aus einer einzigen grossen Karte, die nicht in einzelne Gebiete oder Levels unterteilt ist. So steht es uns frei, ob wir auf den Strassen und Trampelpfaden bleiben, oder auch mal links und rechts vom Weg abzweigen um etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Das Red Creek Valley ist für ein Adventure erstaunlich offen gestaltet und bietet schon beinahe Open-World Charakter.
Leider jedoch haben es die Entwickler verpasst, die Welt mit Leben zu füllen. Abgesehen von den eingestreuten Rätseln und Interaktionsmöglichkeiten gibt es recht wenig zu entdecken oder zu tun, so dass die Spielwelt letztendlich doch nur als Fassade dient.

Dürfen wir doch mal Hand an etwas legen, halten sich die Interaktionsmöglichkeiten ebenfalls in Grenzen. Wir können Briefe lesen und einzelne Objekte einsammeln, dürfen diese sogar in unseren Händen nach Herzenslust drehen und untersuchen - auch wenn dies spielerisch keinen Nutzen bietet. Einzelne Objekte und auch Leichen können wir genauer untersuchen indem wir telepathisch einen Riss in die Vergangenheit öffnen um zu erkennen, was zu deren Tod geführt oder wie ein bestimmtes Objekt an einen Ort gelangt ist.
Stolpern wir über einen Mordfall, machen wir uns in der näheren Umgebung auf die Suche nach Hinweisen und Indizien. Haben wir alle beisammen, legen wir in einer Art Minispiel die chronologische Reihenfolge fest um zu ermitteln, was genau geschehen ist. Haben wir alles richtig gemacht, sehen wir den Tathergang in einer kurzen Traumsequenz.

Um uns das Ganze ein wenig einfacher zu machen, blendet das Spiel Schriftzüge direkt in die Spielwelt sobald wir interaktive Dinge im Blickfeld haben.



Wir können nicht sterben, wir unterhalten uns mit niemandem, wir schleppen nicht kiloweise Gegenstände in unseren Hosentaschen mit und lösen auch keine klassischen Rätsel. Die Bezeichnung Adventure ist im Grunde genommen also gar nicht wirklich zutreffend. Viel mehr lösen wir langsam und bedächtig den Fall eines verschwundenen Jungen. Dass "Ethan Carter" mehr Kunst als Spiel ist, zeigt sich nicht nur in den beschränkten Interaktionsmöglichkeiten, sondern auch in der genächlichen Erkundung der Spielwelt. Es ist uns zwar möglich zu sprinten oder uns zu ducken, keines davon ist aber regelmässig notwendig. Viel mehr schlendern wir durch das malerische Tal und nehmen uns viel Zeit um keine Hinweise zu übersehen.
Dabei hätten die Entwickler mit ein wenig mehr Mut das Potential der Spielwelt voll ausschöpfen können: wieso dürfen wir Objekte frei in unseren Händen drehen, wenn uns das keinen Mehrwert bringt? Wo sind versteckte Mechanismen, Geheimnisse, Inschriften oder ähnliches? Wieso gibt es abseits der Wege so wenig zu tun? Wieso hat man keine echten Rätsel oder Herausfoerdungen implementiert?

Effektiv haben sich die Entwickler zu sehr auf Spielwelt und Atmosphäre verlassen - was allerdings tatsächlich funktioniert...




Grafik & Sound
Machen wir's kurz: "The Vanishing of Ethan Carter" ist das wohl schönste und hübscheste Spiel, welches mir je unter die Augen gekommen ist. Vergessen wir "Skyrim", "Crysis" oder "Metro: Last Light" - in Sachen Spielwelt lässt das polnische Indie-Projekt jeden dieser Titel weit hinter sich und zeigt absolut beeindruckend, was mit der mittlerweile betagten Unreal Engine 3 so alles möglich ist.
Zwar ist die Spielwelt weitgehend statisch und protzt nicht mit hunderten an Effekten, Schattenspielereien oder Explosionen, wirkt allerdings so fotorealistisch wie man es bislang noch nie gesehen hat.
Vor allem Licht und Schatten machen aus Red Creek Valley ein herbstliches Gemälde, unter dessen Deckmantel wir hochaufgelöste Texturen und tolle Animationen finden.

Wer sich ingame-Trailer oder Screenshots ansieht, wird ungläubig den Kopf schütteln - aber ja, sie spiegeln die tatsächliche Qualität des Spiels wider!



Leider lässt sich vom Sound nicht das selbe behaupten, hat dieser doch mit der ein oder anderen Krankheit zu kämpfen. So lassen Surroundeffekte ziemlich aprupt nach sobald man sich ein wenig von der Quelle entfernt und nicht allzu kräftige Effekte sorgen für kein richtiges Mittendrin-Gefühl.
Die (nur in englischer Sprache vorliegenden) wenigen Dialoge wurden allerdings professionell Vertont und sind nicht nur dank Untertiteln klar verständlich, werden in Qualitativer Hinsicht allerdings durch die enorm atmosphärische Musik in ihre Schranken verwiesen. Nur wenige Spielesoundtracks wissen so gut zu gefallen wie die ruhigen Klänge dieses Misteryabenteuers.


Fazit
"The Vanishing of Ethan Carter" ist eines der ersten Spiele seit langem welches ich mir vorbestellt hatte, weil ich durch die ersten Videos dermassen davon angetan war. Und rein technisch wurde ich keinesfalls enttäuscht: die Kulisse von Red Creek Valley ist sicherlich die schönste die ich durch ein Spiel jemals kennenlernen durfte. Schade ist nur, dass sie zu statisch und leer wirkt. Es gibt keine Nebencharaktere und viel zu wenig zu entdecken, keine richtigen Rätsel oder sonstige echte Spielinhalte.
Das Grundgerüst wäre vorhanden, aber die Entwickler haben ihr Potential leider ungenutzt gelassen. Beim nächsten Mal wünsche ich mir ein wenig mehr Mut und vor allem mehr Spiel.
In dieser Form bleibt "The Vanishing of Ethan Carter" ein ruhiger Ausflug in eine extrem malerische, realistische aber leere Welt - eine knapp 4-stündige mistery Geschichte die man sich selbst zusammenreimen darf, sofern man genügend Geduld mitbringt.


Pro:
- das wohl schönste Spiel 2014
- Gute Vertonung
- sehr atmosphärisch
- Soundtrack


Contra:
- keine echten Rätsel
- mehr interaktive Geschichte als Spiel
- mit 3-4 Stunden viel zu kurz
- und dafür mit 20€ zu teuer



Grafik: 95%
Sound: 80%
Steuerung: 90%
Atmosphäre: 92%
Gesamtwertung: 70%


Hardwareanforderungen
Spielbar:
Grafikkarte: Geforce 8800GTS/Radeon 5670 oder äquivalent
Prozessor: Core 2 Duo 2.3 GHz
Arbeitsspeicher: 4,0 GByte

Empfohlen:
Grafikkarte: Geforce GTS 250/Radeon HD 6670 oder äquivalent
Prozessor: Athlon II X2 270 oder äquivalent
Arbeitsspeicher: 4,0 GByte


Testsystem:
Grafikkarte: Geforce GTX 660 OC
Prozessor: Intel Core i5 3550
Arbeitsspeicher: 8,0 GByte