Kolumne: Die Spielerfänger von Hameln – oder wie man eine Community an der Nase herumführt
„1x Verarsche für 50€ bitte!“ „Aber gern. Darf’s sonst noch was sein?“ „Haben Sie auch noch Frühbucherangebote?“ „Selbstverständlich – wenn Sie nun für noch nicht angekündigte Inhalte zahlen, erhalten Sie sämtliche Vorzüge eines Betatesters umsonst!“
So ähnlich stelle ich mir ein satirisches Verkaufsgespräch zwischen einem interessierten Gamer und einem Angestellten im Laden seines Vertrauens vor. Das Problem dabei ist, dass diese Satire wie so oft gar nicht weit von der Realität entfernt liegt. Es scheint als würden sich Entwickler und Publisher stets neue Wege und Mittel ausdenken, uns Spielern das Geld aus der Tasche zu ziehen, ohne dabei entsprechende Gegenleistungen zu erbringen. Das Ganze geschah natürlich nicht von gestern auf heute, sondern ist eine Entwicklung die über längeren Zeitraum zu beobachten war. Doch was genau läuft hier schief und wieso fallen trotzdem noch immer so viele auf diese Maschen rein?

Bis noch vor rund 10 Jahren war es so üblich zu erfolgreicheren Titeln ein grosses Add-On zu veröffentlichen, gefüllt mit neuen Levels, Charaktermodellen, Quests oder was auch immer das Hauptspiel eben ausgemacht hatte. Oftmals waren diese Updates dann zwar auch rund 40 Mark teuer, jedoch wurde das durch ihren Umfang mehr als wettgemacht. Was zum Beispiel wären Titel wie “Diablo 2“ ohne “Lord of Destruction“ oder „Baldurs Gate 2“ ohne dessen Zusatz "Thron des Bhaal“? Oftmals waren es genau besagte Updates die den Spielen neues Leben einhauchten oder sie gar erst zu dem machten was sie heute sind. Das Warten auf die grossartigen Add-Ons war meist unerträglich und Fans diskutierten in Foren monatelang darüber, welche neuen Inhalte es wohl geben würde. Bis auf sehr wenige Ausnahmen ist dieses Phänomen aber heute verschwunden und wurde im Laufe der Jahre durch kleinere DLCs ersetzt – so genannte herunterladbare Inhalte. Die Gründe dafür sind simpel: Entwickler sowie Publisher müssen nicht den weiten und kostspieligen Umweg via Presswerk und Verkaufstheke gehen, sondern können ihre Ware via Internet an den interessierten Gamer bringen. Zudem sind die Entwicklungszeiten kürzer und man kann schneller und effizienter neue Inhalte liefern. Doch genau bei diesen eigentlich positiven Aspekten finden sich auch die grössten Negativpunkte: es muss schnell und billig sein. Selten beinhalten DLCs mehr als einige zusätzliche Waffen, vereinzelte Quests, Rennstrecken oder Maps, die gerade im Shooterbereich sehr beliebt sind. Mehr als eine Handvoll ist jedoch selten dabei und der Preis von bis zu 20€ pro Datenpaket wird selten gerechtfertigt. Das traurige daran ist, dass nicht nur findige Modder sondern auch die Entwickler selbst solche Updates früher völlig kostenlos zur Verfügung gestellt hatten. Wir erinnern uns mit Andacht an ein “Unreal Tournament“, welches mit sämtlichen Mappacks und BonusPacks auf weit über 100 unterschiedliche Karten kam. Und nochmals um das Ganze zu verdeutlichen: das war völlig kostenlos und war auf jedem der zahlreichen Server spielbar, sofern der Host ebenfalls über jene Karten verfügte.
Das ist heute in Ausnahmefällen auch noch möglich, beschränkt sich jedoch nur auf einige wenige Titel – und selbst dort laufen die zusätzlichen Karten aus der Community nur selten auf den offiziellen Servern. Und an dieser Stelle springen die Publisher dann mit besagten DLCs in die Bresche: wer nicht immer die selben Karten spielen will, wird für zusätzliche Inhalte zur Kasse gebeten. 10€ sind dabei für 2-3 neue Karten keine Seltenheit. Natürlich steckt Arbeit dahinter, aber das war früher auch nicht anders. Also wo genau ist der Unterschied? Wer kam auf die ursprüngliche Idee des Ganzen und wieso lässt sich damit tatsächlich so viel Geld verdienen? Wer heutzutage ein Spiel in seinem kompletten Umfang kaufen will, wird dafür schnell mal 100€ los, also oftmals das Doppelte des eigentlichen Kaufpreises. Für Inhalte, die im Vorfeld angekündigt und erst später fertiggestellt werden. Vielleicht aber auch nie. Selbst wenn ein Kaufvertrag dabei zustande kommt, der allein garantiert euch nicht, später den bezahlten Content auch wirklich zu erhalten. Das Erscheinungsdatum ist genauso ungewiss wie der tatsächliche Inhalt. Und selbst wenn die Spieler bei Nichteinhaltung der Versprechen auf die Barrikaden gehen, so nützt auch das nichts. Publisher und Entwickler sitzen am längeren Hebel.
Das Problem lässt sich zumindest teilweise umgehen indem man auf eine Preisreduktion wartet und Spiele samt Season Pass (also sämtliche DLCs in einem grossen Paket) um einiges günstiger ersteht als noch zu Beginn. Das ist bei Singleplayertiteln kein Thema, aber gerade bei Multiplayerspielen ist der Zug dann meist abgefahren. Freunde haben sich längst anderen Titeln zugewandt und selbst im Serverbrowser herrscht tote Hose. Grossartig.

Die Schnelllebigkeit ist also ein Problem, nicht nur für Käufer. Denn was viele Gamer nicht bedenken: hinter jedem Entwickler steckt auch irgendwo ein Publisher und an dessen Spitze wiederum ein CEO der mit dem Thema Spiele grundsätzlich wenig am Hut hat. Ihn interessieren Absatzzahlen, Verkäufe und Einnahmen. Ein Spiel kurz vor Ostern releasen damit die Zocker sich während der Feiertage beschäftigen können? Oder lieber auf das Sommerloch warten, in welchem meist nur wenige Hochkaräter erscheinen? Oder alles auf eine Karte setzen und das Spiel möglichst noch im Weihnachtsgeschäft unterbringen? Es dreht sich alles nur Profit und darum, einen Releasetermin mit allen Mitteln zu halten. Dass dabei die Qualität leidet ist verständlich, schliesslich bedeutet ein enger Terminplan auch automatisch weniger Zeit und irgendwo müssen Kompromisse gemacht werden. Nur wenige Publisher erlauben es sich, einen Termin so weit zu verschieben wie es eben nötig ist, um sich noch ausgiebig um vorhandene Bugs zu kümmern oder gewisse Inhalte fertig zu stellen. Blizzard, Valve und CDProjekt RED sind hier löbliche Ausnahmen. Nein, auch deren Spiele sind am Erscheinungstag selten perfekt, aber immerhin ohne gröbere Schnitzer spielbar und bedürfen im Nachhinein nur weniger Patches um wirklich rund zu laufen. Dem Gegenüber steht das leidige Thema der Day-1-Patches, also grössere Updates noch direkt am Tag des Release.
Spätestens seit selbst Playstation 3 und Xbox 360 dafür sorgten, dass in jedem Spielezimmer ein Internetanschluss vorhanden ist, haben diese Monsterpatches auch auf den Konsolen Einzug gehalten. Gerade grössere Titel lassen sich nicht mehr einfach mit Einlegen der DVD spielen, sondern bauen erstmal eine Verbindung zum Internet auf um ein Update mit mehreren Gigabyte vom Server zu ziehen, was je nach Umständen gerne mal einige Zeit in Anspruch nehmen kann. Gefühlt kommt jedes zweite Spiel mit einem Day-1-Patch daher, sofortiges Loslegen ist zu einer Seltenheit geworden.
Umso trauriger dass dabei oftmals nur die gröbsten Probleme ausgebessert werden, damit das Spiel überhaupt läuft. Spätestens hier sollte man eigentlich den Rotstift ansetzen und vor allem als Spielemagazin rigoros abwerten. Ein Titel der ab DVD nicht mehr oder weniger problemlos spielbar ist, sollte nicht in den Handel gelangen. Punkt. Alles andere ist inakzeptabel.
Doch wie soll der geneigte Spieler so was wissen? Natürlich macht hier die Erfahrung einiges aus, gerade Vorbestellungen sind unter eingefleischten Zockern stark zurückgegangen und man wartet oftmals erst einige Wochen ab bevor man ebenfalls zuschlägt. Dass man dabei nicht automatisch vor einem bösen Erwachen geschützt ist, ist umso schlimmer: selbst wirklich grosse Titel vom Schlage eines “Battlefield 4“ laufen nach sage und schreibe 15 Patches noch immer nicht bugfrei. Doch gerade Entwickler und Publisher die hinter solchen Megaprojekten stehen verfügen über ein Millionenbudget und oftmals eine treue Fanbase. Sie könnten es sich erlauben, einen Release zugunsten der Qualität zu verschieben. Doch die Angst vor Verlusten durch die Konkurrenz ist einfach zu hoch.

Doch wieso kaufen nach wie vor so viele Gelegenheitszocker im Voraus? Wieso wird die Katze im Sack vorbestellt? Nur damit man am Erscheinungstag spielen kann?
Die Entwickler locken mit grossen Versprechen. „Bestelle jetzt und erhalte einen Charakter für ein komplett anderes Spiel gratis dazu! Und dazu kriegst du den ersten DLC für nur die Hälfte! Wir wissen zwar noch nicht was drin ist, aber hey, es ist ein Angebot!“ .. Moment mal, bitte was?! Oftmals werden als sogenannte Vorbestellerboni Inhalte anderer Titel angeboten, um die Käufer potentiell auch für jenes Produkt zu begeistern. Das ist reines Marketing und pure Strategie – geht aber leider nur zu oft auf. Selbst wenn sich der Käufer nicht für besagte Boni interessiert, so macht er dennoch vom Vorbestellerangebot gebrauch, nur damit er sein Spiel möglichst bald spielen kann. Nur leider weiss er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wie das Spiel wird, welchen Umfang es haben wird, wann es erscheint oder ob es qualitativ zufriedenstellend ist. Anstatt abzuwarten stopft man dem Publisher also bereits Geld in den Rachen bevor dieser auch nur ansatzweise eine Gegenleistung dafür erbringt. Es ist also egal in welchem Zustand das Spiel auf den Markt kommen wird, der Vorbesteller hat bereits bezahlt und muss im dümmsten Falle noch Wochen oder gar Monate warten bis der Titel überhaupt spielbar sein wird, weil die Entwickler aufgrund des Termindrucks auf sämtliche Qualitätskontrolle verzichten mussten.

Man kauft also im Voraus weil die Entwickler uns alles mögliche versprechen. Das neue Schiessmichtot 3000 wird nicht nur revolutionär, es wird ein komplett neues Spielerlebnis in einer Grafik die schärfer ist als die Realität und sich dabei auch noch anfühlt als hätte man während des Spielens eine Hand in der Hose. Nur leider sieht die Realität dann ganz anders aus. Inhalte werden während der Entwicklung ersatzlos gestrichen oder kommen in stark veränderter Form daher. Noch schlimmer allerdings sind Gameplayszenen die bewusst verändert wurden um eine falsche Hoffnung zu schüren. Prominentes Beispiel hierfür war Ubisofts “Watch Dogs“, welches bei Release nicht ansatzweise so toll aussah wie in den im Vorfeld veröffentlichten Trailern, welche echte Spielszenen zeigen sollten. Skandalös daran war vor allen Dingen das Geständnis, man habe die Grafik der PC-Versionen in voller Absicht an jene der Konsolenableger angepasst, damit letztere qualitativ nicht abfallen und dementsprechend ebenfalls Umsätze generieren würden. Hier beginnt die Sprachlosigkeit eigentlich bereits, aber noch schlimmer wurde es beim selben Entwickler/Publisher im November diesen Jahres, als “Assassins Creed: Unity“ erschien. Hierbei waren nicht die Vorschusslorbeeren Schuld an der Entrüstung, sondern die absolut schlampige Qualität in welcher das Produkt an die Händler und vor allem an die Käufer ausgeliefert wurde: Selbst 2000€ teure High-End Rechner mit 2x GTX980 im SLI-Verbund vermochten es nicht, diesen Titel auch nur ansatzweise in der höchsten Detailstufe darzustellen. Teilweise brachen die Framezahlen bis auf unter 20 Bilder pro Sekunde ein, was ein angenehmes Spielerlebnis natürlich absolut unmöglich machte. Hinzu kamen Mikrotransaktionen per Echtgeld sowie in der Spielwelt verteilte Beutetruhen die man nur aufmachen konnte, wenn man die begleitende Companion-App auf seinem Smartphone oder Tablet installiert hatte und die natürlich auch mit den gängigen sozialen Medien kommunizieren wollte… Bitte was?! Will man uns hier eigentlich komplett für dumm verkaufen?! Nicht nur dass man für ein unfertiges und verbuggtes Spiel bezahlt, welches bei Release noch nicht einmal spielbar ist (der Day-1-Patch war selbstverständlich auch mit von der Psrtie), sondern wer das komplette Spiel in seinem vollen Umfang spielen will, wird auch noch dazu gezwungen, eine zusätzliche App zu installieren oder sich mit echten Euros via Shop Items zu kaufen. Das wäre ja nur das eine und könnte man mit ein wenig Durchhaltevermögen getrost ignorieren, doch wird man alle Nase lang darauf aufmerksam gemacht, dass es in Shop und App eben noch mehr zu entdecken gibt.
Dieses Vorgehen ist an Dreistigkeit kaum mehr zu überbieten und sollte mit niedrigen Wertungen und miesen Verkaufszahlen bestraft werden. Doch beides war nicht der Fall. Der Titel ging millionenfach über die Ladentheke und selbst die Wertungen der Spielemagazine fanden sich im gesunden 70er Bereich, was grundsätzlich für ein tolles Spiel mit 1-2 kleineren Mängeln stehen soll. Wer an diesem Punkt nicht selbst nachdenkt, dem ist leider nicht mehr zu helfen.

Denn das Problem ist, dass die Spielergemeinschaft sich das Ganze auch noch gefallen lässt. Natürlich löste das Vorgehen von Ubisoft einen massiven Shitstorm gigantischen Ausmasses aus, doch dieser spielt sich nur in den Internetforen ab. Jeder der sich an diesen Diskussionen nicht beteiligt oder sich gar nicht erst dafür interessiert, wird davon nichts mitkriegen. Der gemeine Jugendliche der sich 1-2x im Jahr ein Spiel leisten kann, wird sich nicht vorab eingehend informieren. Er weiss dass ein neuer Titel seiner Lieblingsreihe erscheinen wird, spart sein Geld, rennt in den Laden und kauft. Erst daheim stellt er fest dass es nicht funktioniert oder nicht seinen Vorstellungen entspricht. Dann jedoch ist es zu spät, der Publisher hat seine Kohle eingesackt und sieht sich in seiner Taktik bestätigt. Was er getan hat war richtig, die Leute wollten es und haben es gekauft. Also wird er auch in Zukunft so weitermachen. Und das selbe gilt für alle anderen Spiele und Entwickler, bei denen im Jahrestakt die selbe Grütze aus den Presswerken in die Läden ausgeliefert wird: der 08/15 Spieler kauft es weil er es kennt und bislang Spass damit hatte. Dass der Hardcoregamer, dessen Hobby aus Videospielen besteht, damit nicht zufrieden ist; das ist letztendlich völlig egal. Denn er ist weder die Zielgruppe noch der entscheidende Punkt. Nur das Geld ist entscheidend, und dieses fliesst leider nach wie vor in Strömen, in die falschen Hände, für die Spiele die es am wenigsten verdienen. Und wiederum werden wir dafür mit DLCs und Day-1-Patches „belohnt“. Es ist ein Teufelskreis aus dem wir nicht entrinnen können, das Gros der Käufer lässt sich Jahr für Jahr aufs neue verarschen und dackelt dem Rattenfänger blind hinterher. Und das böse Erwachen gibt’s ausnahmsweise für umsonst mit dazu. Als Vorbestellerboni sozusagen.