Spieletest "The Walking Dead" Season 1 (PC)


Seit der Jahrtausendwende schwappte eine stete Zombiewelle durch sämtliche Kinosäle und machte letztendlich das Thema mit einer Serienumsetzung namens “The Walking Dead“ sogar massentauglich. Basierend auf einer Comicserie des US-Amerikaners Robert Kirkman beschäftigte sich die äusserst blutige Abendunterhaltung nicht nur mit dem grossen Thema einer Zombie-Pandemie, sondern auch mit allerlei zwischenmenschlichen Beziehungen und Konflikten. Nicht zuletzt dank der gelungenen Mixtur aus Drama und Horror konnte die Produktion zahlreiche Grammy-Nominationen einholen, von denen sie leider keine gewann.
Das allein war jedoch nicht genug: als die kreativen Köpfe von „Telltale Games“ eine Spielumsetzung der beliebten Comics ankündigten, schürte man die Hoffnung auf ein wirklich gelungenes Konzept. Eine Adventure-Serie im Horrorsegment mit dramatischem Einschlag? Immer her damit! Das Spiel verkaufte sich wie warme Semmeln und heimste unzählige Preise ein, unter anderem wurde es mehrmals zum „Spiel des Jahres 2012“ gewählt.
Mittlerweile ist die zweite Staffel mit ihrer ersten Episode gestartet und will natürlich erneut an den Erfolg anknüpfen. Grund genug, nochmals eingehend zu beleuchten, was das Konzept rund um eine Handvoll Überlebende unter tausenden von Zombies derart grossartig macht.


Story
Wir hören auf den Namen Lee Everett und fahren gerade in einem Streifenwagen in Richtung Staatsgefängnis, hinter uns am Horizont verschwindet langsam die Grossstadt Atlanta. Doch wir befinden uns nicht etwa hinter dem Steuer, sondern gefesselt auf dem Rücksitz. Einsitzen soll der gute Mann, dafür dass er einen US-Senator erschlagen hat, den er auf frischer Tat erwischt hat – im Bett mit seiner nun Ex-Frau. Der unehrenhaft entlassene Lehrer einer Grundschule hat sich bereits mit seinem Schicksal abgefunden, als der unachtsame Officer einen über die Strasse schlurfenden Zombie frontal erwischt und der Wagen sich mehrmals überschlägt, ehe wir schliesslich verletzt in einer Waldböschung erwachen, noch immer gefesselt auf dem Rücksitz.
Nach einer kurzen Befreiungsaktion werden wir urplötzlich von einem untoten Polizisten angegriffen, der einige Meter neben seinem Wagen ein unschönes Ende fand. In letzter Sekunde findet die eben aufgesammelte Patrone ihren Weg in das Magazin der Flinte und pustet dem frisch auferstandenen Zombie die Rübe weg.
Kaum imstande aufrecht zu gehen, schleppen wir uns die Böschung hinauf zu einem scheinbar verlassenen Haus, in dem wir nach Hilfe suchen. Kurze Zeit später setzt sich ein kleines Mädchen mit uns per Walkie-Talkie in Verbindung. Die 8-jährige heisst Clementine und versteckt sich alleine in ihrem Baumhaus, nachdem sich ihre Babysitterin in ein fürchterliches Monster verwandelt hatte. Kurzum nehmen wir die Kleine an die Hand und versprechen, ihr zu helfen.

Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: die kleine wird zu unserer besten Freundin. Unsere Adoptivtochter. Unser Ankerpunkt in einer Welt voller gefrässiger Untoter und wahnsinnig gewordener Menschen. Wir werden Dinge tun und erleben, die wir uns in einer solchen Form in einem Videospiel bislang kaum vorstellen konnten. Wir werden leiden, ab und zu schmunzeln, vor dem Monitor schmerzerfüllt das Gesicht verzerren und uns möglicherweise selbst hassen lernen.

-> Trailer bei Youtube

Interaktive Filme sind bislang grösstenteils gescheitert. Wir erinnern uns z.B. nur ungern an das gross angelegte “Akte X“ Spiel zur Serie, welches noch mit realen Schauspielern und Filmszenen realisiert wurde. Telltale geht hier einen anderen weg und erzählt seine Geschichte zwar im selben Universum wie die Comics oder die TV-Serie, allerdings mit frischen Charakteren und einer eigenen Storyline, die parallel zu den bereits bekannten spielt. Zwar treffen wir ab und zu auf bereits bekannte Charaktere oder Schauplätze, die Querverweise sind aber selten und nur Kennern der Vorlagen vorbehalten. Aber auch wer sich ohne Vorkenntnisse in “The Walking Dead“ stürzt, kann das Spiel in vollen Zügen geniessen.
Im Gegensatz zu anderen Entwicklern stützen sich die Jungs von Telltale nicht nur auf ihre Lizenz und ein damit einhergehendes Erlebnis, sondern erschufen eine interaktive Dramaserie, die auch in einem ganz anderen Umfeld bestens funktionieren würde. Das liegt vor allem daran, dass wir als Spieler aktiv mit in die Geschichte eingebunden werden und das Geschehen massgeblich beeinflussen können. Vor allem aber entwickeln wir dabei Emotionen für digitale Figuren. Wir lieben einzelne und hassen andere abgrundtief, während wir mit uns selbst hadern und derweil kaum erwarten können, wie es im nächsten Kapitel weitergehen wird.

Aufgebaut ist das Ganze dann im Endeffekt auch wie eine Serie wie wir sie aus dem Fernsehen kennen. Einzelne Episoden präsentieren sich inklusive Vorspann, Prolog, einem Ausblick auf die nächste Folge (inklusive unserer vorangegangenen Entscheidungen) mitsamt rollenden Credits zum Schluss. Das hat dank den vielen Cliffhangern nicht nur einen gekonnten dramatischen Kniff, sondern sorgt auch für ein eher spezielles Feeling beim durchspielen.


Gameplay
Beworben wird “The Walking Dead“ als Adventure, auch wenn das nur bedingt zutrifft. Ein Begriff wie Interactive Storytelling wäre wohl um einiges passender, denn Rätsel wie in anderen Genrevertretern lösen wir mit Lee nur höchst selten. Natürlich stecken auch wir ab und an einen Gegenstand in unsere Tasche, doch mehr als ein paar wenige gleichzeitig werden es nie. Die Lösung der kleinen Steine die man uns in den Weg legt, ist derweil auch meist in unmittelbarer Nähe und fordern uns grundsätzlich nie.
Wer die Reihe anhand dieser Beschreibung bereits als langweilig abstempelt, könnte jedoch nicht noch weiter daneben liegen. Hauptbestandteil von “The Walking Dead“ sind unverkennbar die unzähligen Dialoge, welche die Story vorantreiben. Alle paar Spielminuten werden wir während einer Unterhaltung vor eine Entscheidung gestellt, die es innerhalb eines knapp bemessenen Zeitlimits zu fällen gilt, um die Dynamik zu wahren. Genau wie im echten Leben müssen wir uns manchmal blitzschnell entscheiden um grösseres Übel zu verhindern – schweigen wir, so ist der Ausgang der Unterhaltung ungewiss, genau so wie deren Konsequenzen.
Dabei unterscheidet Telltale aber niemals zwischen richtig oder falsch, es gibt nur „übelst beschissen“ und „beschissen übel“. So gilt es auch immer wieder, uns in brenzligen Situationen für eines von zwei Menschenleben zu entscheiden, welches wir retten wollen. Soll der etwas nerdige TV-Verkäufer oder die zielgenaue Reporterin an unserer Seite bleiben? Wen retten wir aus den tödlichen Klauen der Zombies, während wir dem anderen qualvoll beim sterben zusehen?
Egal wie wir uns entscheiden, wir müssen mit den damit verbundenen Konsequenzen leben (ausser wir benutzen die Rückspulfunktion im Hauptmenü). Leider können wir die grundlegende Handlung und deren Ausgang nicht verändern, wohl aber auf deren Umstände Einfluss nehmen. So bestimmen wir direkt oder indirekt wer zu unserer Gruppe gehört, wer uns in brenzligen Situationen den Rücken stärkt oder mit wem wir uns ständig auf Kriegsfuss befinden. Das sorgt je nach Spielweise für vollkommen unterschiedliche Ausgangs- und Gesprächssituationen und bringt sogar bei einem erneuten Durchlauf nochmals eine ordentliche Portion Spannung mit sich.
Allerdings müssen wir selbst im zweiten Anlauf sämtliche Dialoge und Zwischensequenzen über uns ergehen lassen – eine Option, diese zu Überspringen fehlt nämlich komplett. Das ist insofern sinnvoll als dass wir ansonsten wichtige Informationen verpassen oder eine falsche Entscheidung fällen könnten, wäre aber bei eher irrelevanten Gesprächen gerade für ungeduldige Spieler willkommen gewesen.



Steuerungstechnisch bewegen wir uns bei “The Walking Dead“ auf sehr simplem Niveau. Lee bewegt sich entweder per Maus/Tastatur- oder Gamepadeingabe durch die stark begrenzten Spielabschnitte, wobei bei beiden Möglichkeiten einige wenige Tasten für das komplette Spiel ausreichen. Es sei denn, wir begegnen einem der zahlreichen Quicktime-Events in denen wir durch dauerhämmern einer bestimmten Taste den Angriffen eines Zombies ausweichen oder uns sonst was vom Leib halten müssen.




Grafik
Technisch präsentiert sich “The Walking Dead“ in Comicoptik mit Cel-Shading-Look, was zunächst nicht jedermanns Sache sein dürfte. Damit orientiert sich die Serie klar stärker an den Comics statt an der TV-Umsetzung, besitzt mit ihrem eigenwilligen Stil aber auch genug Eigenständigkeit um unverkennbar zu sein.
Das Gesamtbild will auf den ersten Blick so gar nicht zum blutigen und dramatischen Inhalt passen, wirkt aber im Endeffekt dermassen stimmig, dass man nicht drum herum kommt, den Entwicklern dafür auf die Schulter zu klopfen.
Mit vergleichsweise einfachen Methoden, wenig Polygonen und eher schwach aufgelösten Texturen holen sie das Maximum aus dem Grundgerüst heraus. Enthusiasten werden damit kaum glücklich werden, doch wer sich darauf einlässt ertappt sich dabei, wie er immer tiefer in die Comicwelt einsinkt und sich gar nicht mehr davon losreissen möchte.




Sound
Das wichtigste zuerst: die gesamte Sprachausgabe liegt nur in Englisch vor, kann bis auf einzelne Wörter aber auch von solchen Verstanden werden, die nur auf besseres Schulenglisch zugreifen können. Immerhin hat man sich erbarmt und mit der Zeit deutsche Texte per Patch nachgereicht, für all jene, die dennoch Verständigungsprobleme haben.
Die Sprachtexte erneut in Deutsch zu vertonen wäre allerdings schade gewesen, erledigen doch sämtliche Sprecher durch die Bank weg einen hervorragenden Job. Gerade die verschiedenen Persönlichkeiten kommen durch ihre unterschiedlichen Dialekte noch besser zur Geltung und lassen die Dialoge enorm dynamisch wirken.

Musikalisch wird das Geschehen nur vergleichsweise selten, dann aber umso intensiver unterstützt. Der gelungene Soundtrack sorgt selbst in ruhigen Momenten dafür, dass die Spannung nicht abbricht und stets mitfiebern. Die Umgebunsgeräusche indes unterstützen die Atmosphäre und schaffen dabei ein akustisches Klangbild, dessen Harmonie mühelos davon ablenken könnte, dass auf dem Bildschirm gerade die Welt zugrunde geht.


Fazit
“The Walking Dead“ war nicht nur für viele Kritiker das Spiel des Jahres, auch meine Wenigkeit stimmt in den allgemeinen Tenor ein. Telltale hat es geschafft, mit einem spielerisch sehr simpel gestrickten Adventure ein Erlebnis zu schaffen, wie man es lange nicht mehr zu Gesicht gekriegt hat. Ein Spiel, in dem es weder richtig noch falsch gibt, sondern bloss Entscheidungen und deren Konsequenzen. Wir entscheiden sowohl aktiv wie auch passiv über Leben und Tod, machen uns innerhalb der Gruppe Freunde und Feinde und müssen stets Abwägen, was für uns oder die gesamte Gruppe am besten ist.
Das tolle ist, dass wir Nebenhandlungen dabei in einem Ausmass beeinflussen können, wie es bislang in einem Adventure noch selten der Fall war, was auch zu einem erneuten Durchspielen anregt. Auch wenn man die grundlegende Story nicht verändern kann und deren Ausgang bereits kennt, so sind die verschiedenen Wendungen und Dispute innerhalb der Überlebenden Grund genug, das Ganze nochmals anzupacken.
Spielerisch reisst “The Walking Dead“ dabei keine Bäume aus und sorgt mit seinen seichten Rätseleinlagen bei Adventureprofis eher für ein müdes lächeln. Doch die Reihe will gar nicht schwierig sein, sie will unterhalten – und das macht sie während rund 15 Stunden auf einem extrem hohen Niveau, das Suchtpotential entfaltet. Wer beim Abspann nicht mindestens eine Träne verdrückt, hat ein Herz aus Stein oder sollte sich unter einem solchen verkriechen um sich zu schämen.
Bleibt nur zu hoffen, dass die erst kürzlich gestartete zweite Staffel genau dort anknüpft, wo die erste aufgehört hat: bei einem unvergleichlichen und hervorragenden Spielerlebnis.


Pro:
- für eine interaktive Serie verhältnismässig lange Spielzeit
- dank diversen Entscheidungen auch in einem zweiten Durchlauf interessant
- Liebenswerte Charaktere
- hervorragendes Storytelling auf Hollywoodniveau
- eigenwilliger, aber sehr stimmiger Look…


Contra:
- …der leider ein wenig Detailarm ist
- Grundlegende Handlung nicht veränderbar
- Maus-/Tastatursteuerung nicht ganz optimal
- Zwischensequenzen und Dialogfetzen nicht überspringbar



Grafik: 80%
Sound: 88%
Steuerung: 79%
Atmosphäre: 93%
Gesamtwertung: 92%


Hardwareanforderungen
Minimal:
Grafikkarte: ATI/AMD oder Nvidia mit mind. 512MB Ram und DirectX 9.0
Prozessor: Pentium 4 2,0 GHz
Arbeitsspeicher: 3,0 GByte

Empfohlen:
Grafikkarte: Nvidia oder ATI/AMD mit 1024MB Ram und DirectX 9.0
Prozessor: Dualcore mit 2,0 GHz oder höher
Arbeitsspeicher: 3,0 GByte


Testsystem:
(Maximale Einstellungen)
Grafikkarte: Geforce GTX 660 OC
Prozessor: Intel Core i5 3550
Arbeitsspeicher: 8,0 GByte